2017-12-31

Illusion oder Intuition?


Wie alle wünschen uns Begegnungen mit anderen Menschen, die uns wirklich berühren und nähren – besonders natürlich beim Kontakt mit dem oder der Einen in einer Partnerschaft. Doch oft müssen wir nach dem ersten positiven Eindruck oder sogar einem euphorischen Kennenlernen über kurz oder lang feststellen, dass unser Gegenüber doch nicht wirklich zu uns passt. Woran liegt es, dass wir so viele Prinzen und Prinzessinnen küssen müssen und doch irgendwann zu dem Schluss kommen: Das war es wieder nicht! Sylvia Führer und Matthias Bartels haben Ursachen für die vielen zwischenmenschlichen Enttäuschungen bei der Partnerwahl ausgemacht und zeigen, wie wir mit dem intuitiven Blick andere in der Tiefe erkennen können.

Heutzutage entstehen Gefühle fast schon auf Knopfdruck durch Herbei-Switchen potenzieller Partner auf dem Handydisplay. Partneragenturen verleihen Übereinstimmungspunkte und erwecken damit sogar den Eindruck, das Potenzial einer Beziehung wäre errechenbar. Aber auch eine gefühlte gemeinsame Wellenlänge und euphorische Zustände beim Kennenlernen müssen noch nicht unbedingt bedeuten, dass echte Sensibilität füreinander besteht. Im direkten Kontakt gewinnt nämlich oft einfach der Wunsch, sich zu verlieben, die Oberhand – und dabei gerät die Fähigkeit, den anderen tatsächlich wahrzunehmen, ins Hintertreffen.

Der tiefere Grund: Wenn wir uns von einem anderen Menschen angezogen fühlen oder uns sogar verlieben, ist es in unserer Kultur nicht selten, dass wir dabei Mustern wie Naivität, Wunschdenken oder Selbstverleugnung anheimfallen, die von einer tiefen Bedürftigkeit nach Nähe und der Angst vorm Alleinsein gesteuert werden. Das mündet in dem – unbewussten und oft schon verzweifelten – Versuch, einen Partner an sich zu binden, selbst wenn er vielleicht in der Tiefe gar nicht gut zu einem passt.

Nützlich ist es hier zu klären: Handelt es sich bei meinen Wahrnehmungen um echte Realitätseinblicke? Oder habe ich es vielleicht hauptsächlich mit eigenen unbewussten Sehnsüchten und Gefühlen zu tun, also einem verzerrten Blick durch die Schichten meiner Konditionierung, der dazu führt, dass ich Projektionen aufbaue, die mir ein passendes Gegenüber vorgaukeln? Wenn dem so ist: Diese Dynamik lässt sich durchbrechen.

In diesem Artikel zeigen wir Ihnen Wege, um die zwischenmenschliche Intuition auf die Partnerwahl und auf viele weitere Lebensbereiche anzuwenden. Sie werden mit konkreten Methoden vertraut, um Ihre intuitiven Fähigkeiten zu nutzen und auszubauen.
Zwischenmenschliche Intuition

Mit der Intuition erkenne ich, wann ein Mensch

• sich in mich hineinfühlen kann und merkt, wie ich mich fühle

• sich so gut in mich hineindenken kann, dass wir gemeinsam auch neue Interessen entdecken können

• mir seine Gefühle zeigen kann

• die treffenden Worte und Taten findet, um mich zu berühren und sich auch von mir berühren lassen kann

• einen Humor hat, der gut zu meinem passt

• den gemeinsamen Alltag lebendig und spritzig werden lässt und sich auch von mir inspirieren lassen kann

• meine Eigenschaften und Schwächen gut genießen kann

Dank zwischenmenschlicher Intuition können wir innerhalb von Sekundenbruchteilen erspüren, ob und inwieweit wir mit einem bestimmten Menschen seelisch harmonieren werden. Intuition wird darum oft als ein Geschenk beschrieben, als ein zauberhafter Moment plötzlicher Erkenntnis. Es wird möglich, Eigenschaften wahrzunehmen, die unabhängig vom ausgeübten Beruf, Sprache, Aussehen, Kleidung und anderen Äußerlichkeiten sind. Sicher hat jeder von uns in seinem Leben schon solche intuitiven Momente erlebt. Wie kommen wir jedoch dahin, uns auf Dauer auf unsere Intuition verlassen zu können? Umgekehrt lautet die entscheidende Frage, um die zwischenmenschliche Intuition verlässlich einsetzen zu können: Wie können wir unterscheiden, wann die eigene intuitive Wahrnehmung zutrifft und wann sie tendenziell eher verzerrt sein könnte? Dafür braucht es die sogenannte:

Meta-Intuition

Mit dieser Form der Selbstreflexion lässt sich spüren, ob man gerade tatsächlich intuitiv wahrnimmt oder Projektionen stattfinden. Denn die dafür gehaltene intuitive Wahrnehmung ist wie ein gewellter Spiegel. Meistens zeigt dieser ein recht verzerrtes Bild vom anderen. Nur wenige Stellen sind noch glatt. Die Kratzer, Dellen und Wellen sind durch schmerzliche Erfahrungen, Kindheitserlebnisse und Ähnliches entstanden. In manchen Zeiten ist der Spiegel auch mit Wasser bespritzt – Bedürfnisse und Erwartungen lassen das klare Bild verschwimmen. Die Kunst, die intuitive Wahrnehmung zu nutzen, liegt nun darin, die kleinen Stellen des Spiegels zu finden, die die Realität des anderen zeigen. Die Meta-Intuition als Brille zum Suchen der stimmigen Wahrnehmungsinseln ermöglicht es, die eigenen Stellen der intuitiven Wahrnehmung genau zu kennen.

Jetzt kann man die Intuition zum Aufbau stimmiger Beziehungen einsetzen. 

Praktische Tipps zum Verfeinern der Meta- Intuition

1. „Aha-Effekte erkunden

Intuitive Eindrücke kommen überraschend: ein plötzliches „Leuchten in den Augen“ – eine unerklärliche, auf einmal gefühlte Nähe mit einem Unbekannten beim Vorbeigehen. Um die Realität solcher Eindrücke zu überprüfen, ist schon ein kurzes „Hallo“ zu diesem Unbekannten hilfreich. Oft bestätigt schon die Reaktion, ob der Eindruck stimmig war. Erweist sich das Gegenüber auch dann noch als „nah“?

2. Konkrete intuitive Eindrücke überprüfen

Intuitiv meine ich etwas wahrgenommen zu haben. Beispielsweise denke ich, eine humorvolle Seite bei einem Gegenüber erkannt zu haben – unabhängig von Gestik, Mimik oder Worten. Ein Wirklichkeitstest kann es gleich zeigen: Ich mache einen kleinen Witz! Wird er erwidert oder löst er ein verärgertes Erstaunen aus? Ein weiteres Beispiel: Mein Freund hat zugestimmt, mit mir in einen Freizeitpark zu gehen. Auf einer subtilen Ebene nehme ich jedoch wahr, dass seine Begeisterung dafür eigentlich minimal ist. Spreche ich ihn darauf an und er gibt erstaunt zu: „Stimmt, ich komme nur dir zuliebe mit, wollte aber, dass du das nicht merkst!“, dann stellt sich meine Intuition als höchstwahrscheinlich zutreffend heraus.

Der intuitive Blick hilft in vielen Lebensbereichen

Über den Aufbau einer Paarbeziehung hinaus lässt sich Intuition in vielen weiteren Lebensbereichen anwenden. Insgesamt ist sie eine wertvolle Grundlage für sensiblen zwischenmenschlichen Umgang. Dank ihr können wir Gefühle und Stimmungen des Gegenübers regelrecht „lesen“. Und schließlich ermöglicht sie im Beruflichen, seelisch passende Kooperationspartner ausfindig zu machen. Suche ich einen neuen Mitarbeiter oder auch einen Mitbewohner für eine Hausgemeinschaft, kann ich ein großes Treffen oder ein Fest veranstalten, zu dem alle Interessenten gleichzeitig eingeladen werden.

Eine Anzahl von 10-50 Personen kann durchaus sinnvoll sein. Schon beim Laufen durch die Gruppe wird die eine oder der andere überraschend angenehm auf mich wirken. Später wird die Arbeitsstelle/das Wohnprojekt in der Runde vorgestellt und nach dem Treffen Kontakt mit denjenigen aufgenommen, die mir positiv aufgefallen waren. Im darauffolgenden Einzelgespräch kann man den Eindruck durch direktes Erfragen des Wahr – genommenen überprüfen: „Stimmt es, dass du eher ein Mensch bist, der sich gut durchsetzen kann?“ (Oder andernfalls: „Bist du eher jemand, der gerne nachgibt?“)

Auch lässt sich im Kontakt mit den Mitmenschen ein Gespür dafür entwickeln, ob sie gerade intuitiv wahrnehmen. Der Blick fühlt sich dann anders an – energievoller! Ein tiefer Austausch über den Blick wird möglich. Innerhalb des Blicks wird eine neue Art von Sprache gesprochen, dank derer fortlaufend die Gefühle des jeweils anderen gelesen werden. Meine ich jemandem, dem ich zum ersten Mal begegne, bereits „aus den Augen lesen“ zu können, kann ich ihn ebenso auch meine Antwort „im Augen-Blick“ spüren lassen.

Stellt sich beim späteren Nachfragen heraus, dass tatsächlich beide Ähnliches wahrgenommen haben, dann habe ich einen Menschen gefunden, mit dem ich direkt intuitiv in Verbindung treten und sicher auch auf anderen Wegen sensibel kommunizieren kann: im Gespräch, im Umgang mit Gefühlen oder sogar in der Zärtlichkeit. Das Fazit unseres jahrelangen Forschens zum Thema Illusion und Intuition: Wird die Intuition – begleitet von der Meta-Intuition – umfassender genutzt, so können deutlich mehr seelisch zueinander passende Menschen zusammen sein. Ent-täuschungen werden somit seltener.

„Seelisch zueinander passend zu sein“ heißt jedoch nicht, stets gleiche Interessen und Lebensansichten zu teilen. Die seelische Nähe ermöglicht aber das Einfühlen in das Andersartige und das Erschließen eigener neuer Möglichkeiten. Mit dem umfassenderen Einfühlen entsteht mehr Verständnis für das Fremde. So können auch Menschen verschiedener Religionen und Weltanschauungen mehr Sympathie füreinander entwickeln – und es gesellt sich nicht nur Gleich und Gleich zueinander.


Über die Autoren: Sylvia Führer & Matthias Bartels

Sylvia Führer arbeitet als Lehrerin in der Erwachsenenbildung und ist Autorin mehrerer Fachbücher, eines Jugendbuches sowie zahlreicher Zeitschriftenartikel. Mit ihrem Buch „Liebe oder Illusion? – Vom Überkick zum Überblick“ (Bestoff-Verlag 2017) zeigt sie kreative Wege auf, um Illusionsfallen in der Liebe zu überwinden und Beziehungen harmonisch zu gestalten. Mehr Infos auf www.sylvia-fuehrer.de

Matthias Bartels gibt seit Jahrzehnten Kurse zur Intuition. Er ist Autor des Buches „Der intuitive Blick – die Kunst der spontanen Wahrnehmung“ (Königsfurt Verlag 2002), das dem Leser Wege zur zwischenmenschlichen Intuition in Freundschaft, Liebe und Beruf erschließt. Matthias Bartels arbeitet als Logopäde in der Schweiz. Mehr Infos auf www.intuitive.de

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