Da ist noch einer der was merkt und den Mund aufmacht TOLL DANKE KONSTATIN!
Sie haben neulich in einem bemerkenswerten Text kritisiert, dass die deutschen Medien in der Russland-Berichterstattung auffallend einseitig gegen Russland geschrieben haben. Wie kann es zu einem solch kollektiven Verhalten kommen?
Konstantin Wecker: Mir ist es ein völliges Rätsel, wie es dazu kommen konnte. Ich habe mit einigen Journalisten gesprochen. Sie haben mir gesagt, dass bestimmte Texte von ihnen einfach nicht mehr veröffentlicht werden. Das sind hervorragende Journalisten mit einem wachen Verstand.
Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass alle Journalisten auf Kommando agieren, so läuft es ja nicht in den Medien…
Konstantin Wecker: Ich glaube, dass der vorauseilende Gehorsam eine große Rolle spielt. Viele Journalisten wissen, was ihre Chefs denken und lesen wollen, und so schreiben sie dann auch. Es spielt jedoch auch eine große Rolle, dass die meisten Journalisten, um die es hier geht, heute zwischen 30 und 45 Jahre alt sind. Sie wissen nicht mehr aus eigener Erfahrung, was Krieg wirklich bedeutet. Daher schlagen sie kriegerische Töne an, weil das für sie nur eine theoretische Möglichkeit ist.
Sie selbst haben ja zumindest die Folgen des Krieges noch erlebt…
Konstantin Wecker: Ich bin 1947 in München geboren und habe als Kind noch in Ruinen gespielt. Es gab viele Versehrte in der Stadt, Männer mit amputierten Beinen, die sich auf Rollbrettern durch die Strassen schoben. Überall lagen noch Granaten herum. Ein Schulkollege hat an solch einer Granate hantiert, sie ist explodiert und hat ihm die Hand zerfetzt. Heute haben wir keinen körperlichen Bezug mehr zu Krieg, Der Krieg wird virtuell geführt. Und auch die Zeitzeugen, vor allem auch jene aus dem Widerstand, sind fast alle verschwunden. Bei mir löst die Vorstellung von Krieg ungeheure Ängste aus. Ich habe deshalb das Gedicht „Der Krieg”, welches Georg Heym im Jahr 1912 geschrieben habe, weitergedichtet. Ich habe versucht, das Gefühl, das man vor hundert Jahren angesichts eines drohenden Krieges gehabt hat, auf die Gegenwart zu übertragen.
Viele haben den Krieg auch noch in Erinnerung. Könnte dies ein Grund für den offensichtlichen Dissens des Publikums mit den Medien sein?
Konstantin Wecker: Ich habe mit vielen Leuten gesprochen. Sie erzählten mir, dass ihre kritischen Leserbriefe nicht mehr abgedruckt würden. Viele meiner Freunde haben ihre Zeitungen deshalb abbestellt. Die Leser haben den Eindruck, dass die Politik die Medien kontrolliert. Vielleicht kommt das auch wegen der großen Nähe vieler Redakteure zu den Politikern.
Welche Veränderung stellen Sie bei den Medien fest – als jemand, der viele Jahrzehnte mit den Medien zusammengearbeitet hat?
Konstantin Wecker: Seit der vorletzten Sicherheitskonferenz habe ich den Eindruck, dass es eine Militarisierung gibt. Die Politik betreibt eine Art psychologischer Aufbereitung dieser Militarisierung, wie ich es in den vergangenen 40 Jahren nicht erlebt habe. Nehmen Sie nur mal die penetrante Berichterstattung zur Zeit über die marode Bundeswehr mit ihren angeblich untauglichen Waffen. Das ist doch eine Vorbereitung auf weitere, kostspielige Bewaffnung. Die jammernden Waffenhersteller wie Rheinmetall AG wird es freuen. Und sie scheinen an dieser Kampagne nicht unbeteiligt zu sein.
Es fällt auf, dass es keine großen Demonstrationen gegen diese Politik gibt. Wenn man sich erinnert, welch massiven Protest der Nato-Doppelbeschluss ausgelöst hat – dieser Protest war je maßgeblich ein Phänomen, das die Grünen zu einer politischen Kraft hat werden lassen…
Konstantin Wecker: Das Trauma der Grünen ist meines Erachtens der Kosovo-Krieg, als Joschka Fischer sich vom Ideal des Pazifismus verabschiedet hat. Für mich waren Leute wie Petra Kelly wichtig. Die habe ich bewundert. Aber sie wurde von ihrer eigenen Partei verlassen. Und mit ihr hat der Pazifismus bei den Grünen seine wichtigste Stimme verloren. Und die gute alte Friedensbewegung scheint mir im Moment in der Tat fast gelähmt.
Es gab auch von den verschiedensten Seiten immer wieder Versuche, sie zu spalten. Da spielen für mein Gefühl auch gezielte Kampagnen der Dienste mit eine Rolle, obwohl ich das nicht beweisen kann. Für mich ist ein Engagement für den Frieden nicht von einem eindeutigen und radikalen Antifaschismus zu trennen und deshalb bleibt zu hoffen, dass die Versuche einiger aufrechter AntifaschistInnen fruchten, die sogenannten Montagsdemos vom Beigeschmack der „Querfront“ restlos zu befreien. Ich persönlich bin seit fast 20 Jahren ein Botschafter der „Kultur des Friedens“, einer Gesellschaft, die von Künstlern wie Mikis Theodorakis, Christa Wolf, dem Physiker Hans Peter Dürr und vielen anderen großartigen Menschen gegründet worden ist. Den Idealen dieser „Kultur des Friedens“ war und bleibe ich verbunden. Wir waren 2003 im Irak um gegen die Kriegslügen zu demonstrieren und wir werden auch in den nächsten Monaten mit Aktionen und Demonstrationen versuchen, die Menschen zum aktiven Widerstand zu bewegen.
Nun sind viele der Antifaschisten und Protagonisten der Friedensbewegung auch schon ältere Herrschaften. Wo bleiben die Jungen?
Konstantin Wecker: Ich habe den Eindruck, dass viele durch die liberalisierten Märkte vor allem den Konsum im Blick haben. Es ist ja nicht so, dass die jungen Leute heute nicht auf die Straße gehen: Wenn das neue iPhone herauskommt, kampieren sie von der Apple-Zentrale. Doch sich für eine politische Sache zu engagieren ist heute nicht mehr sexy. Ich erinnere mich noch an die Bewegung „Künstler für den Frieden“. Ich bin mit Harry Belafonte aufgetreten und mit Joan Baez – damals gegen den Nato-Doppelbeschluss. Der Frieden wird den Politikern erst wieder ein Anliegen sein, wenn die Leute klarmachen, dass es hier um eine ganz große und wichtige Sache geht. Dazu müssten aber 100.000 Leute auf die Straße gehen.
Regen sich die Leute heute über den Krieg vielleicht auch deshalb nicht auf, weil die Kriege in der medialen Vermittlung eine gespenstische Ästhetik haben, die man nicht als besonders schlimm empfindet? Die öffentlich-rechtlichen Sender zitieren ja mittlerweile die CIA, als wäre das eine verlässliche Quelle. Zugleich werden dann die schwarz-weißen Bilder gezeigt, die das Pentagon unters Volk bringt, die aussehen wie Computer-Spiele und die den Eindruck erwecken, als wäre das alles ein chirurgisch sauberer Eingriff, bei dem die Bösen zentimetergenau getroffen werden und keine Zivilisten…
Konstantin Wecker: Das stimmt. Das wirkliche Grauen wird nicht gezeigt. Die Wende im Vietnamkrieg kam, als das berühmte Foto von der 9-jährigen Kim Phuc veröffentlicht wurde, ein Kind, das nackt und von Napalm verbrannt vor dem Grauen des Krieges floh. In diesem Augenblick ist die Stimmung gekippt und hat auch die kriegsführenden Eliten gezwungen, sich zu bewegen. Ab dem Zeitpunkt war der Vietnamkrieg für die US-Regierung nicht mehr zu vermitteln. Heute sehen wir keine Opfer mehr, wir sehen keine Versehrten. Alle Opfer sind medial weggesperrt. Und damit wird die Wahrheit über den Krieg unterdrückt: Denn in einem Krieg gibt es immer auf beiden Seiten Opfer. Natürlich ist die IS eine grauenvolle Terror-Gruppe. Doch was machen eigentlich die vielen amerikanischen Söldner? Die Privat-Armeen, für die keine Gesetze gelten? Sie können sich alles erlauben, niemand kontrolliert sie oder zieht sie zur Rechenschaft. Wir sehen nichts von ihnen, und hören nichts von ihnen.
Im Krieg werden immer von beiden Seiten Gräuel-Taten begangen. Es wird gemordet, vergewaltigt, gebrandschatzt. Das ist nun mal das Wesen des Kriegs. Auch wenn die Amerikaner sagen, dass sie mit ihren Drohnen punktgenau treffen können – es stimmt nicht. Es gibt immer Kollateralschäden, das klingt so harmlos und ist nichts anderes als Mord an zufällig anwesenden Zivilisten. Doch diese Toten, Zerfetzten und Verstümmelten werden nicht gezeigt. Das haben die PR Leute, die vor jedem Kriegseinsatz für Millionen von Dollars engagiert werden, schon lange gelernt.
Haben wir trotz der langen Jahre im Frieden, die Kultur des Friedens verloren?
Konstantin Wecker: Wir sind eine sehr kriegerische Gesellschaft geworden. Vom ersten Atemzug unseres Lebens wird uns eine Wirklichkeit aufgezwungen, die auf Kampf angelegt ist. Was wird eigentlich aus den Kindern, die in Kriegsgebieten aufgewachsen sind? Die Psychologie sagt uns, dass Traumatisierungen durch Krieg jahrelang aufgearbeitet werden müssten. Wir treiben die nächste Generation unweigerlich ins Kriegerische. Wir haben das verloren, was der Psychologe Arno Gruen den „Verlust des Mitgefühls“ nennt.
Vom Verlust des Mitgefühls profitiert vor allem die Rüstungsindustrie. Ihre Produkte werden in dem Maß begehrt, in dem der Krieg zu einem Normalzustand wird…
Konstantin Wecker: Hier zeigen sich die verhängnisvollen Konsequenzen eines hemmungslosen Neoliberalismus. Die PolitikerInnen sind selbst Getriebene der großen Konzerne. Je mehr Kriege sie führen oder zulassen, umso stärker profitiert die Rüstungsindustrie. Das gelingt mit dem einfachen Trick, dass all jene, die sich nicht dem Diktat der großen Konzerne unterwerfen, als „Ideologen“ diffamiert werden. Und das betrifft nicht nur die Rüstungsindustrie. Nehmen Sie das Freihandelsabkommen TTIP: Die Politik begibt sich freiwillig unter das Diktat der Konzerne. Schätzungsweise 20.000 Lobbyisten nehmen in Brüssel Einfluss auf die EU-Institutionen.
Wie kann man gegensteuern, wie kann man sich wehren?
Konstantin Wecker: Ich bin Radikal-Demokrat und Radikal-Pazifist. Es muss möglich sein, dass es auf der Welt verschiedene Ansichten und Lebensweisen gibt. Es gibt nicht eine Ansicht, die allen anderen überlegen ist. Es gibt keine Ideologie, mit der die Welt zu retten ist. Wenn man jedoch glaubt, den anderen die eigene Auffassung aufzwingen zu müssen, ist der Krieg die logische Folge. Er wird unausweichlich. Wenn man jedoch der Meinung ist, dass verschiedene Sichtweisen nebeneinander bestehen können, dann kann man auch die meisten Konflikte ohne Gewalt lösen. Wer Gewalt anwendet, erzeugt Unrecht – auch wenn er das gar nicht will.
Wie kann man die Regierungen von dieser Haltung überzeugen? Braucht es eine Revolution – eine friedliche?
Konstantin Wecker: Ich träume schon von einer Revolution. Ich bin allerdings in erster Linie Künstler. Ich kann mein Publikum nur mit meinen Texten und Liedern anrühren. Ich werde bei meiner Tournee im Herbst sehr viele Menschen erreichen. Und ich werde meinen Zuhörern diese Sehnsucht nach einer friedlichen Welt mit Poesie und Musik zu vermitteln versuchen. Zum Revolutionsführer bin ich nicht geeignet, aber wir brauchen auch keine Führer mehr, sondern mitfühlende Mitmenschen, die einen gemeinsamen Traum zu träumen bereit sind. Eine Revolution muss passieren bin Ich habe vor einem Jahr mit meinem jungen Kollegen Prinz Chaos einen „Aufruf zur Revolte geschrieben“, den man sich natürlich kostenlos aus dem Netz holen kann. Eine Revolution fordert auch die kluge Naomi Klein in ihrem neuen Buch. Und sie muss ohne Gewalt passieren, durch Vernetzung vieler besonnener und friedliebender, tätiger Menschen. Es gibt mehr davon als man uns weismachen will. Ja, eine Revolution des tätigen Mitgefühls erträume ich mir und ich würde mich sehr freuen, wenn sich nun auch jüngere Generationen energisch zu Wort melden würden.