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2015-04-10

Magie der Angst

BY SUSANNE KABLITZ 8. APRIL 2015
Oscar Wilde sagte einmal, dass Egoismus nicht darin besteht, dass man sein Leben nach seinen Wünschen lebt, sondern darin, dass man von anderen verlangt, dass sie so leben, wie man es sich wünscht. Und das ist es, was ich augenblicklich unterscheiben würde.

flickr. / Hartwig HKD

Ich glaube daran, dass man sein Glück gefährdet, wenn man es in die Hände eines anderen Menschen legt. Weil man die eigene Verantwortung dafür aus der Formel herausnimmt. Weil man vom anderen erwartet, dass dieser Jemand für das eigene Glück Sorge zu tragen hat. Weil man sich sonst unvollständig fühlt, ungeliebt und vernachlässigt. Aber das ist für mich falsch. Niemand kann besser für mich sorgen als ich selbst. Der andere, der geliebte Mensch, ist das Sahnehäubchen; der Mensch, der mein Leben bereichert und mich durch seine Gedankenwelt mit anderen Dingen vertraut macht und mich inspiriert.

Aber er macht mich nicht vollständig! Vollständig muss ich ohne ihn sein. Sonst bürde ich ihm etwas auf, was er gar nicht tragen kann.

Ich muss immer ein wenig lachen, wenn ich „Liebesliedern“ zuhöre. Für mich sind das keine Liebesbekundungen … sondern tonnenschwere Belastungsproben, denen der angeblich Angebetete ausgesetzt ist. Aber die Menschen scheinen das anders zu sehen. Immerzu wollen sie den anderen retten oder “ganz machen”. Zumindest sagen sie das. Und immerzu wird auch dies vom anderen erwartet.
 
Ich glaube, in Wahrheit wollen die meisten Menschen sich selbst retten. Sie projizieren dies allerdings auf den Menschen, mit dem sie zu tun haben, den sie lieben. Und der soll gefälligst dankbar sein. Ist er das nicht … ist er ein Egoist, der immer nur an sich denkt. Das ist verrückt, finde ich.
Ich frage mich dauernd, warum die meisten Menschen nach dem „Erlöser“ suchen, nach dem, der sie führt und leitet. Der ihnen sagt, was sie zu tun und zu lassen haben. Wir verbünden uns geradezu mit unseren Peinigern und treten denen gegen das Schienbein, die für unsere Freiheit kämpfen.
Lange habe ich mich gefragt, was die Motive dieser Menschen sind und ich komme immer wieder auf das gleiche zurück … ANGST!

Es ist Angst! Die Magie der Angst ist es, die uns immer wieder in die Falle laufen lässt … denn Angst ist eine lähmende, eine höchst unangenehme Emotion. Angst ist ein Gefühl, dass sich meist schleichend ankündigt, Schüttelfrost verursacht und einem die Kehle zuschnürt. Angst lässt sich nur sehr schwer steuern und findet oftmals auf ganz subtilen Wegen den Eingang in unsere Seele … und dort wirkt sie meist zerstörerisch.

Angst ist ein uraltes, in unseren Genen verankertes Gefühl, mit dem die meisten Menschen nicht gut umgehen können. Neben dem vollkommen normalen Fluchtreflex, der in akuten Gefahrensituationen überaus sinnvoll ist, löst Angst in uns ein Gefühl der vollkommenen Hilflosigkeit aus. Wir fühlen uns schutzlos, schwach, unsicher und sind im Moment der akuten Angst ein Opfer dieser Emotion. Seit frühester Kindheit sind wir mit diversen Emotionen tief vertraut; sie sind sozusagen „in uns angelegt“.
Aus meiner Sicht ist Angst eines der beeindruckendsten Gefühle. Ein Empfinden, dass jegliche Handlungsmöglichkeit einschränkt, bisweilen sogar unmöglich macht.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mich als Kind gefühlt habe, wenn ich mal wieder um jeden Preis meinen Willen durchsetzen wollte und meine Mutter in ihrer Hilflosigkeit drohte, mich allein im Supermarkt zurück zu lassen. Es war immer der gleiche Prozess: Drohung – Nichtbeachtung – nochmalige Drohung („beim nächsten Mal bin ich wirklich weg“) – wieder Nichtbeachtung (wobei ich schon ein wenig ängstlicher wurde) – tatsächliches „Weggehen“ – Angst, Panik und dann natürlich das Brechen meines Willens! Das hat sich bis heute nicht verändert, die Praktiken sind gleich geblieben und es funktioniert noch immer.

Nun sind wir irgendwann alle erwachsen geworden und doch: Dieses Muster vom „Alleingelassen werden“ vom „Aussenseitertum“, „vom Isoliert sein“ führt immer wieder dazu, dass wir uns zu Dingen hinreißen lassen, die wir eigentlich nicht wollen. Die wenigsten Menschen sind so in sich verankert, so in sich ruhend, dass sie sich von ihren Überzeugungen nicht abbringen lassen. Die sich nicht verschrecken lassen, sich ihren Ängsten und Unsicherheiten stellen und somit ein autarkes Leben führen.

Ein Leben, das wirklich Freiheit bedeutet.

Aber diese Menschen sind noch in der Minderheit, sie sind seltene Exemplare. Diese Menschen brauchen sehr viel Kraft und Energie, um in unserer heutigen Zeit, wo das Mittel der Angst nur allzu gern eingesetzt wird, bestehen zu können. Angst zu verbreiten, ist eine gemeine, hässliche Möglichkeit, einen anderen Menschen für seine Motive und Wünsche zu instrumentalisieren. Sofern Angst dazu benutzt wird, einen Menschen zu manipulieren, ist dies eine moralische Bankrotterklärung desjenigen, der diese tief in uns sitzende Emotion für seine Zwecke nutzt. Leider sehen Menschen, die aus diesem Wissen heraus ihren Nutzen ziehen, dies jedoch ganz anders. Unter dem Deckmäntelchen der Sorge um unser Wohlbefinden, nutzen sie das Instrumentarium „Angst“ mit exzessiver Begeisterung. Ob es sich um das Klima handelt oder um den Euro, immer spielt das massenwirksame Mittel der Angst eine große Rolle. Wenn wir dies nicht so sehen, wenn wir dies nicht so handhaben, wie uns Politiker, Wissenschaftler und andere honorige Persönlichkeiten uns dies einreden wollen, werden wir mit der Angst beschallt.

Wir werden in Feuer und Asche grausam untergehen, wenn wir nicht an die Propaganda glauben und sie sogar – frecherweise – hinterfragen. Unsere Ängste trüben unser Urteilsvermögen, wir vertrauen irgendwelchen „Figuren“ mehr als uns selbst – oft nur allein deshalb, weil sie im Fernsehen auftreten und damit Kompetenz scheinheiligen. Dabei sollten wir uns unserer Ängste entledigen, uns nicht mehr von vermeintlich „Wichtig-Wichtig“-Plauderern geringschätzen lassen, uns bewusst machen, dass wir durchaus klar denken können und es nicht nötig haben, uns anzubiedern. Wir schlüpfen häufig in Maskeraden und reden anderen nach dem Wort, weil wir nicht selbstbewusst genug sind. Um in der Gesellschaft integriert zu sein und aus Angst, nicht „dazuzugehören“, versuchen wir, anderen um fast jeden Preis zu gefallen.

Wenn wir aber allzu vielen gefallen wollen, verlieren wir uns selbst und damit unsere persönliche Freiheit.

Die Freiheit, Dinge zu leben, so wie wir es für richtig halten; Dinge auszusprechen, die uns am Herzen liegen und für Werte einzustehen, die uns wichtig sind. Auch dann – vor allem dann – wenn uns andere schief ansehen, weil wir mit unseren Ansichten zunächst fremd wirken. Aber was heute noch fremd ist, ist morgen schon ein wenig vertrauter! Wir müssen uns nur eben das ein oder andere Mal auf unbekanntes Terrain wagen, etwas Neues probieren und vor allem müssen wir unseren tief ins uns verankerten Gehorsamkeitsdrang über Bord werfen. Ich wurde zu meinem Glück nicht “allzu schlimm dazu erzogen”, gehorsam zu sein, ich fühlte mich schon früh dazu ermuntert, meine Bedürfnisse und Wünsch klar zu artikulieren und meine Instinkte ernst zu nehmen. Aber viele Menschen werden mit “Liebesentzug” bestraft oder dieses dringend benötigte Gefühl wird ihnen sogar entzogen, wenn sie anderer Meinung sind als andere Menschen ihnen dies einzureden versuchen. Ich glaube, dass das der Grund ist, warum so viele Menschen an den übermächtigen Staat mit den angeblichen Wohltaten glauben. Der Staat ersetzt irgendein diffuses Gefühl von Väterlichkeit, von Verständnis und von Fürsorglichkeit … und fordert im Gegenzug absolute Treue und Loyalität. Und die Opfer erkennen dies an … weil sie es so wollen!
 
Wenn ich heute an die Worte so einiger mir wichtiger Menschen denke, die übereinstimmend die bei vielen blinde Gefolgschaft an Führer, gleich welcher Couleur, genau beschrieben, dann frage ich mich immer und immer wieder, wie es sein kann, dass wir uns schlichtweg weigern, aus der Geschichte zu lernen. Wir stellen uns taub und stumm und behaupten, dass diesmal alles anders sei, dass es diesmal die Richtigen seien, die andere herumschubsen können und dürfen. Und wir streiten sogar ab, dass wir herumgeschubst werden.

Das ist wie bei diesem Entführer-Syndrom.

Da verbündet sich das Opfer auch mit dem Täter und fängt an, jede Gemeinheit und Grausamkeit zu entschuldigen. Und damit nicht genug … das Opfer fängt sogar an, sich gegen den Befreier zu stellen. Den Befreier zu bekämpfen und nicht den Täter. Warum fällt diesen Menschen nicht auf, dass die schlimmsten Verbrechen in der Geschichte immer im Namen des Gehorsames geschahen, im Namen der unbedingten Treue und der Unterwerfung des Individuums zugunsten einer bestimmten Gruppe?
Die meisten Menschen reagieren mit Angst, wenn sie mit unbekannten Dingen und Ereignissen konfrontiert werden. Sie reagieren mit Angst, wenn sie sich Situationen ausgesetzt sehen, die sie nicht einschätzen können, die sie nicht mit bereits bekannten Situationen in Verbindung bringen können. Und in diesen Momenten kommen dann vermeintliche Übermenschen daher, die den Eindruck vermitteln, sei seien von diesen Ängsten befreit; sie seien mutiger, weitsichtiger und schlauer. Das ist meist eine Fehleinschätzung, denn allzu häufig sind sie einfach nur sehr gute Schauspieler, die ihre Gefühle unterdrücken und sich im Namen der Macht selbst verraten. Oder … die es aufgrund ihrer Position vermeiden können, für ihre Taten und Entscheidungen die Verantwortung tragen zu müssen. Wenn ich keine Verantwortung zu tragen habe, dann kann ich problemlos mutig erscheinen. Wenn ich mich hinter anderen verstecken kann, dann ist es einfach, risikobereit zu „sein“. Niemand ist mutiger als derjenige, der Mut nur von einem sicheren Ort aus von anderen einzufordern braucht, um selbst als „Erretter“ zu gelten. Die ganze Welt ist voll von diesen Maulhelden, die genau wissen, was für andere gut sein soll.

Wie oft habe ich gehört, dass gerade mit der Forderung nach bedingungsloser Liebe und Treue nicht anderes erwartet wird, als absoluter Gehorsam. Ein Gehorsam, der Kritik oder selbst nur das bloße Infragestellen kategorisch ausschließt. Weil es als mangelnde Liebe oder als mangelnde Treue „interpretiert“ wird und genau das will das Opfer um jeden Preis vermeiden. Also fragt man nicht und Kritik fällt gleich ganz flach. Im gleichen Atemzug gibt derjenige jegliche Verantwortung ab. Es ist also eine klassische „win-win-Situation“. Das Opfer gibt sich der Illusion des Geliebt- und Geschätzt-Seins hin und darf auf der anderen Seite für seine Rückgratlosigkeit die Verantwortung abgeben.
Doch was wird aus uns Menschen, wenn wir so handeln? Was wird vor allem aus uns, wenn wir diese Erkenntnis nicht zulassen … oder wir sie vielleicht erkennen.



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