Die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (Mindfulness-Based Stress Reduction – MBSR) wurde von dem Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn Ende der 70iger Jahre entwickelt, um Stress durch Achtsamkeitsübungen zu reduzieren. MBSR wird von Krankenkassen bezahlt und an vielen Reha-Kliniken angeboten. Sein-Redakteur Oliver Bartsch hat den achtwöchigen Kurs ausprobiert…
Ein MBSR Selbsterfahrungsbericht
Ich hatte es verdammt nötig, so einen MBSR-Kurs zu machen. Ich konnte mich schlecht konzentrieren, war oft abgelenkt, habe schlecht geschlafen, war ungeduldig, dauernd unzufrieden mit mir und meinem Leben und irgendwie neben der Spur, nicht so ganz bei mir. Zudem plagten mich immer mehr Zipperlein angefangen von Atemwegserkrankungen über Magenprobleme bis hin zu Zahnfleischbluten. Über die Warteliste bin ich in letzter Sekunde noch in den begehrten MBRS-Kurs gerutscht und hatte so schon mein erstes Erfolgserlebnis, obwohl ich noch keine Sekunde meditiert hatte.
Der achtwöchige Kurs (jeweils 2,5 Stunden) ist jeweils einem Thema gewidmet (etwa „Achtsamkeit und Stress“ oder „Achtsamkeit und Wahrnehmung“ oder „Achtsamkeit und Kommunikation“) und mit jeder Menge formeller Übungen gespickt. Später habe ich erfahren, dass es nicht so sehr auf die formellen als vielmehr auf die informellen Übungen ankommt, das heißt es ist wichtiger, dem Alltag achtsam zu begegnen als jeden Tag die formellen Übungen zu machen. Am besten, du machst beides, dann bist du auf der sicheren Seite. Die formellen Übungen stammen aus der hinduistischen und buddhistischen Meditationspraxis und bestehen aus folgenden Elementen:
Was ich bei Kursleiterin Kristin Turnblad gelernt habe, sind vor allem die sieben Grundlagen der Achtsamkeit und das Achtsamkeit etwas ganz Natürliches ist, dass jedem Menschen angeboren ist und in der Kindheit meistens verlernt wird. Achtsamkeit ist etwas anderes als Entspannung, auch wenn Entspannung wichtig ist. Achtsamkeit ist auch mehr als einfach vorsichtig zu sein oder besonders aufzupassen. Insofern ist dieses Wort Achtsamkeit, das sich zum „Unwort“ entwickelt hat, erklärungsbedürftig: Achtsamkeit ist das ruhige und gelassene Wahrnehmen von allem was in unserem Gewahrsein auftaucht, also auch schwieriger Gedanken und Gefühle.
Achtsamkeit erlaubt uns, dieses eigene Erleben ohne Scheu zu betrachten und mit dem zu sein, was gerade da ist, unabhängig davon, wie schwierig es ist. Dazu braucht es allerdings ein Training. Denn wie wir wissen, kann das was in unserem Gewahrsein auftaucht auch beunruhigend oder gar beängstigend sein. Die Erfahrung und die Forschung haben gezeigt, dass ein Training von acht Wochen bereits einen erheblichen Unterschied machen kann. Üben wir die Achtsamkeit im Alltag, können daraus innere Ruhe, Kraft, Lebenslust und Arbeitsfreude geschöpft werden.
Die wichtigste Grundlage von Achtsamkeit ist das Nicht-Beurteilen. Nicht-Beurteilen bedeutet, dass du gegenüber deinen Gedanken, Gefühlen und Handlungsmustern ein neutraler Beobachter bist und nicht sofort automatisch bewertest. Das heißt nicht, dass du ab sofort nicht mehr bewerten oder urteilen sollst und diese Praxis abschaffst, das schafft nur neuen Druck und neue Abwertung, weil du es nicht schaffst, nicht zu werten. Nicht-Beurteilen bedeutet, dass du dir gewahr wirst, wenn du urteilst und bewertest und dann in die Rolle des neutralen Beobachters wechselst, der nachsichtig mit dir ist und wohlwollend registriert, dass du soeben schlecht über dich oder andere geurteilt hast. Es ist zum Beispiel hilfreich, dich nicht dafür zu verdammen, dass du es wieder nicht geschafft hast, beim Meditieren zu entspannen, sondern im Gegenteil sehr hilfreich, wenn du dir sagst: „Oh, ich bemerke, dass ich beim Meditieren immer angespannter werde, vielleicht probiere ich mal eine andere Sitzhaltung oder ein anderes Kissen aus.“ Es ist auch ganz normal, dass du zunächst angespannter bist als ohne Meditation. Wenn du mit dieser Anspannung ganz entspannt umgehen kannst und sie so akzeptieren kannst, wird sie sich nach und nach in Entspannung wandeln. Diese Erfahrung habe ich gemacht.
2. Geduld
Geduldig zu sein bedeutet, dass jedes Ding seine eigene Zeit hat und es sich entfaltet, wenn der richtige Moment dafür gekommen ist. Für mich war es schwer zu bemerken, wie ungeduldig ich mit mir bin, wenn etwas nicht sofort klappt. Und auch hier gilt wieder: Wenn ich als neutraler Beobachter meine Ungeduld bemerke (hohe Anspannung, Gedankenrasen etc), dann verurteile ich mich nicht noch zusätzlich dafür, sondern habe Geduld mit meiner Ungeduld und nehme sie einfach wahr als etwas, was ich im Moment nicht ändern kann. Und auch hier gilt wieder: Wenn ich mich neutral dem zuwende, was gerade ist („Meiner Ungeduld“), dann hat sie die Chance, sich in Geduld zu verwandeln. Auch diese Erfahrung habe ich gemacht.
3. Den Geist des Anfängers bewahren
Um die Fülle des Augenblicks erfahren zu können, müssen wir jene innere Offenheit entwickeln, die bereit ist, alles so zu sehen, als wäre es das erste Mal. Unsere vorgefassten Meinungen und Vorurteile lassen uns blind werden für die Vielfalt, die in allem liegt und den Reichtum des Augenblicks, der in den unbeachteten, gewöhnlichen Dingen liegt. Diese Grundhaltung hört sich leicht an, ist aber verdammt schwer. Wir haben dazu die Rosinenübung gemacht und zwei Rosinen bekommen, die wir zunächst so genau wie möglich mit allen Sinnen erkunden und dann achtsam essen sollten. Dabei sollten wir die zweite Rosine in demselben Anfängergeist essen wie wir die erste Rosine gegessen haben. Ich gebe zu, dass ich bei der zweiten Rosine noch die Vorstellung von der ersten Rosine im Kopf gehabt habe und nicht mitbekommen habe, dass die zweite Rosine einen leicht veränderten Geschmack und auch eine leicht veränderte Konsistenz gehabt hat. Genauso verhält es sich auch mit anderen Dingen, und so stumpfen wir langsam aber sicher ab gegenüber den täglichen Gewohnheiten, zum Beispiel der, dass wir morgens ohne Schmerzen aufwachen. Ich habe mir angewöhnt, nach dem Aufwachen drei tiefe Atemzüge zu nehmen und meinem Körper zu danken, dass ich schmerzfrei aufgewacht bin.
5. Nicht-Streben
Mit Nicht-Streben ist gemeint, dass wir einmal innehalten sollen, ohne einen Zweck zu verfolgen, ohne ein Ziel zu erreichen. Achtsamkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass du nichts erreichen musst. Du musst nicht entspannter werden, du musst nicht gesünder werden, du musst noch nicht mal achtsamer werden. Du versuchst also nicht, anders zu sein, als du gerade bist, sondern einfach so zu sein, wie du gerade bist. Als ich das einmal kapiert hatte, war es ungeheuer entspannend, denn ich hatte mich die ganze Zeit während der Meditation angestrengt, etwas zu erreichen, und konnte das auf einmal alles loslassen und zum ersten Mal in meinem Leben wirklich entspannen. Ein Beispiel: Wenn ich mich zur Meditationsübung hinsetzte und denke: „Gleich werde ich ruhig und entspannt“, suggeriere ich meinem Geist, das es mir im Moment nicht gut geht und dass mir etwas fehlt. Das setzt mich zusätzlich unter Druck und lässt mich noch unentspannter sein.
6. Akzeptanz
Sehr viel Lebenszeit vergeuden wir damit, die Dinge zu bekämpfen, die anders sind als wir sie gerne hätten. Wir klammern uns an unsere Vorstellungen, halten unsere Meinungen für allgemeingültige Wahrheiten und sind unfähig, anzuerkennen, dass jeder Mensch seine eigene Realität hat. Diese Sturheit erzeugt Spannung und Druck und verhindert Heilung. Unter Akzeptanz verstehe ich die Fähigkeit, die Dinge so anzunehmen, wie sie sind. Bevor wir etwas ändern können, müssen wir zuerst den Ist-Zustand akzeptieren. Wenn ich beispielsweise akzeptiere, dass ich im Moment ein paar Kilogramm zuviel auf den Rippen habe, dann bedeutet das nicht, dass ich das gut finden muss und mich damit zufrieden gebe. Es bedeutet auch nicht, mich gehen zu lassen und jeden Abend eine Tafel Schokolade zu futtern, weil eh alles egal ist. Es bedeutet auch nicht, in Resignation zu verfallen und mir zu sagen, dass ich es sowieso nie schaffen werde, abzunehmen. Akzeptanz ist die eigene Bereitschaft, die momentane Situation klar und vorurteilsfrei und bewertungsfrei anzunehmen und entsprechend der Situation zu handeln. In meinem Fall bedeutet das, Sport zu machen oder zu meditieren oder drei tiefe Atemzüge zu machen, wenn eine Fressattacke kommt.
7. Loslassen
Es ist die Frage, wie wir mit den erfreulichen und unerfreulichen Momenten des Lebens umgehen. Jeder Mensch möchte am liebsten nur noch angenehme Erfahrungen machen und keine unangenehmen Erfahrungen mehr. Das ist unrealistisch. Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Moment zu Moment, von Augenblick zu Augenblick, und jeder Moment, jeder Augenblick kann eine Lernerfahrung beinhalten, die uns für unser Leben prägt. Loslassen ist das, was wir im Schlaf ganz natürlich tun jede Nacht, wenn wir zu Bett gehen und einschlafen. Wenn es uns nicht gelingt loszulassen, finden wir auch keinen Schlaf. Im MBRS geht es darum, im Wachzustand loslassen zu können, das gilt soviel für die schönen als auch für die weniger schönen Augenblicke.
Was hat mir MBSR gebracht? Ich kann besser schlafen, bin geduldiger mit meiner Ungeduld, bin gelassener mit meinen Schwächen und dankbarer für meine Stärken. Ich höre mehr auf die Signale meines Körpers und tue mehr Dinge, die mir gut tun. In Gesellschaft bin ich weniger gestresst und kann mehr Situationen so sein lassen, wie sie sind. MBSR ist eine der am besten durch Studien erforschten und wissenschaftlich dokumentierten Methoden der Welt und trägt tatsächlich dazu bei, dass sich im Gehirn durch Neuroplastizität mehr Aktivität entfaltet und Strukturen verändern, einfach durch tägliche achtsamkeitsbasierte Meditationsübungen.
Interview mit Jon Kabat-Zinn in der SRF-Sendung „Sternstunde Philosophie“ (14.02.2016)
https://www.youtube.com/watch?v=uq8Ea41omhw
Homepage Kristin Turnblad:
http://mbsr.turnblad.de
Über den Autor:
Oliver Bartsch ist Online-Journalist, Multimediaentwickler, Fachjournalist mit Schwerpunkt Psychologie, Komplementärmedizin, alternative Wohn- und Arbeitsformen, regenerative Energien, Klimawandel, Religion, Spiritualität, Philosophie, Gestalttherapeut im Praxis- und Supervisionsjahr
Ich hatte es verdammt nötig, so einen MBSR-Kurs zu machen. Ich konnte mich schlecht konzentrieren, war oft abgelenkt, habe schlecht geschlafen, war ungeduldig, dauernd unzufrieden mit mir und meinem Leben und irgendwie neben der Spur, nicht so ganz bei mir. Zudem plagten mich immer mehr Zipperlein angefangen von Atemwegserkrankungen über Magenprobleme bis hin zu Zahnfleischbluten. Über die Warteliste bin ich in letzter Sekunde noch in den begehrten MBRS-Kurs gerutscht und hatte so schon mein erstes Erfolgserlebnis, obwohl ich noch keine Sekunde meditiert hatte.
Der achtwöchige Kurs (jeweils 2,5 Stunden) ist jeweils einem Thema gewidmet (etwa „Achtsamkeit und Stress“ oder „Achtsamkeit und Wahrnehmung“ oder „Achtsamkeit und Kommunikation“) und mit jeder Menge formeller Übungen gespickt. Später habe ich erfahren, dass es nicht so sehr auf die formellen als vielmehr auf die informellen Übungen ankommt, das heißt es ist wichtiger, dem Alltag achtsam zu begegnen als jeden Tag die formellen Übungen zu machen. Am besten, du machst beides, dann bist du auf der sicheren Seite. Die formellen Übungen stammen aus der hinduistischen und buddhistischen Meditationspraxis und bestehen aus folgenden Elementen:
Bodyscan: die Einübung achtsamer Körperwahrnehmung
Yoga: das sanfte und achtsame Ausführen einer Anzahl von Yogastellungen im Liegen und Stehen
Sitzmeditation: das Kennenlernen und Einüben des Stillen Sitzens
Gehmeditation: das achtsame Ausführen langsamer Bewegungen
Dreiminütige Atemmeditation
Die Übungen der achtsamen Körperwahrnehmung wurden aus körpertherapeutischen und körperpsychotherapeutischen Methoden abgeleitet. Yoga steht in der hinduistischen Tradition, die Sitzmeditation und Gehmeditation sind der buddhistischen Meditationspraxis (Zazen und Vipassana) entliehen. Bei allen Übungen steht im Vordergrund das nicht-beurteilende Annehmen dessen, was gerade im Augenblick wahrnehmbar ist. Das können Körperempfindungen, Gefühle, Sinnes- wahrnehmungen oder Gedanken sein.
Die Übungen der achtsamen Körperwahrnehmung wurden aus körpertherapeutischen und körperpsychotherapeutischen Methoden abgeleitet. Yoga steht in der hinduistischen Tradition, die Sitzmeditation und Gehmeditation sind der buddhistischen Meditationspraxis (Zazen und Vipassana) entliehen. Bei allen Übungen steht im Vordergrund das nicht-beurteilende Annehmen dessen, was gerade im Augenblick wahrnehmbar ist. Das können Körperempfindungen, Gefühle, Sinnes- wahrnehmungen oder Gedanken sein.
Achtsamkeit als Lebenshaltung
Warum ist es so wichtig, dass Achtsamkeit die Grundlage des gesamten Lebens wird? Das ist nicht so leicht zu beantworten, denn Achtsamkeit täglich zu praktizieren klingt erstmal ziemlich anstrengend und kaum praktikabel. Meine vorläufige Antwort lautet: Durch Achtsamkeit machst du dir bewusst, wie viel in deinem Leben nach automatisierten Gewohnheitsmustern abläuft, von denen du im Alltag kaum etwas mitbekommst. Das heißt ohne Achtsamkeit für das, was du gerade tust, bist du nicht im hier und jetzt, sondern mit der Vergangenheit oder der Zukunft beschäftigt und nicht ganz da.
Für mich bedeutet Achtsamkeit eine Zeit der Stille, des Fühlens und des Spürens. Nicht nur, wenn ich allein bin, sondern auch beim Einkaufen, beim Autofahren oder beim gemeinsamen Essen. Ich mache kein überforderndes Multitasking mehr, sondern tue die Dinge hintereinander: Wenn ich esse, esse ich, und rede nicht, schaue kein Fernsehen und höre kein Radio. Wenn ich mich dusche, dann dusche ich mich, spüre das Wasser auf meiner Haut, die Wärme, die Kälte, den Schaum des Shampoos, die Berührung meiner Hände auf der Haut etc. Vor dem MBSR-Kurs war ich Weltmeister im Multitasking, habe während des Zähneputzens das Kaffeewasser angemacht, während des Kaffeetrinkens Zeitung gelesen und während des Zeitunglesens darüber nachgedacht, welche Artikel ich noch schreiben muss. In Wirklichkeit ist kein Mensch multitaskingfähig, auch Frauen nicht. Es führt nur dazu, dass du die Dinge schlecht und unkonzentriert machst.
Warum ist es so wichtig, dass Achtsamkeit die Grundlage des gesamten Lebens wird? Das ist nicht so leicht zu beantworten, denn Achtsamkeit täglich zu praktizieren klingt erstmal ziemlich anstrengend und kaum praktikabel. Meine vorläufige Antwort lautet: Durch Achtsamkeit machst du dir bewusst, wie viel in deinem Leben nach automatisierten Gewohnheitsmustern abläuft, von denen du im Alltag kaum etwas mitbekommst. Das heißt ohne Achtsamkeit für das, was du gerade tust, bist du nicht im hier und jetzt, sondern mit der Vergangenheit oder der Zukunft beschäftigt und nicht ganz da.
Für mich bedeutet Achtsamkeit eine Zeit der Stille, des Fühlens und des Spürens. Nicht nur, wenn ich allein bin, sondern auch beim Einkaufen, beim Autofahren oder beim gemeinsamen Essen. Ich mache kein überforderndes Multitasking mehr, sondern tue die Dinge hintereinander: Wenn ich esse, esse ich, und rede nicht, schaue kein Fernsehen und höre kein Radio. Wenn ich mich dusche, dann dusche ich mich, spüre das Wasser auf meiner Haut, die Wärme, die Kälte, den Schaum des Shampoos, die Berührung meiner Hände auf der Haut etc. Vor dem MBSR-Kurs war ich Weltmeister im Multitasking, habe während des Zähneputzens das Kaffeewasser angemacht, während des Kaffeetrinkens Zeitung gelesen und während des Zeitunglesens darüber nachgedacht, welche Artikel ich noch schreiben muss. In Wirklichkeit ist kein Mensch multitaskingfähig, auch Frauen nicht. Es führt nur dazu, dass du die Dinge schlecht und unkonzentriert machst.
Die sieben Grundlagen des MBSR
Was ich bei Kursleiterin Kristin Turnblad gelernt habe, sind vor allem die sieben Grundlagen der Achtsamkeit und das Achtsamkeit etwas ganz Natürliches ist, dass jedem Menschen angeboren ist und in der Kindheit meistens verlernt wird. Achtsamkeit ist etwas anderes als Entspannung, auch wenn Entspannung wichtig ist. Achtsamkeit ist auch mehr als einfach vorsichtig zu sein oder besonders aufzupassen. Insofern ist dieses Wort Achtsamkeit, das sich zum „Unwort“ entwickelt hat, erklärungsbedürftig: Achtsamkeit ist das ruhige und gelassene Wahrnehmen von allem was in unserem Gewahrsein auftaucht, also auch schwieriger Gedanken und Gefühle.
Achtsamkeit erlaubt uns, dieses eigene Erleben ohne Scheu zu betrachten und mit dem zu sein, was gerade da ist, unabhängig davon, wie schwierig es ist. Dazu braucht es allerdings ein Training. Denn wie wir wissen, kann das was in unserem Gewahrsein auftaucht auch beunruhigend oder gar beängstigend sein. Die Erfahrung und die Forschung haben gezeigt, dass ein Training von acht Wochen bereits einen erheblichen Unterschied machen kann. Üben wir die Achtsamkeit im Alltag, können daraus innere Ruhe, Kraft, Lebenslust und Arbeitsfreude geschöpft werden.
1. Nicht-Beurteilen
Die wichtigste Grundlage von Achtsamkeit ist das Nicht-Beurteilen. Nicht-Beurteilen bedeutet, dass du gegenüber deinen Gedanken, Gefühlen und Handlungsmustern ein neutraler Beobachter bist und nicht sofort automatisch bewertest. Das heißt nicht, dass du ab sofort nicht mehr bewerten oder urteilen sollst und diese Praxis abschaffst, das schafft nur neuen Druck und neue Abwertung, weil du es nicht schaffst, nicht zu werten. Nicht-Beurteilen bedeutet, dass du dir gewahr wirst, wenn du urteilst und bewertest und dann in die Rolle des neutralen Beobachters wechselst, der nachsichtig mit dir ist und wohlwollend registriert, dass du soeben schlecht über dich oder andere geurteilt hast. Es ist zum Beispiel hilfreich, dich nicht dafür zu verdammen, dass du es wieder nicht geschafft hast, beim Meditieren zu entspannen, sondern im Gegenteil sehr hilfreich, wenn du dir sagst: „Oh, ich bemerke, dass ich beim Meditieren immer angespannter werde, vielleicht probiere ich mal eine andere Sitzhaltung oder ein anderes Kissen aus.“ Es ist auch ganz normal, dass du zunächst angespannter bist als ohne Meditation. Wenn du mit dieser Anspannung ganz entspannt umgehen kannst und sie so akzeptieren kannst, wird sie sich nach und nach in Entspannung wandeln. Diese Erfahrung habe ich gemacht.
2. Geduld
Geduldig zu sein bedeutet, dass jedes Ding seine eigene Zeit hat und es sich entfaltet, wenn der richtige Moment dafür gekommen ist. Für mich war es schwer zu bemerken, wie ungeduldig ich mit mir bin, wenn etwas nicht sofort klappt. Und auch hier gilt wieder: Wenn ich als neutraler Beobachter meine Ungeduld bemerke (hohe Anspannung, Gedankenrasen etc), dann verurteile ich mich nicht noch zusätzlich dafür, sondern habe Geduld mit meiner Ungeduld und nehme sie einfach wahr als etwas, was ich im Moment nicht ändern kann. Und auch hier gilt wieder: Wenn ich mich neutral dem zuwende, was gerade ist („Meiner Ungeduld“), dann hat sie die Chance, sich in Geduld zu verwandeln. Auch diese Erfahrung habe ich gemacht.
3. Den Geist des Anfängers bewahren
Um die Fülle des Augenblicks erfahren zu können, müssen wir jene innere Offenheit entwickeln, die bereit ist, alles so zu sehen, als wäre es das erste Mal. Unsere vorgefassten Meinungen und Vorurteile lassen uns blind werden für die Vielfalt, die in allem liegt und den Reichtum des Augenblicks, der in den unbeachteten, gewöhnlichen Dingen liegt. Diese Grundhaltung hört sich leicht an, ist aber verdammt schwer. Wir haben dazu die Rosinenübung gemacht und zwei Rosinen bekommen, die wir zunächst so genau wie möglich mit allen Sinnen erkunden und dann achtsam essen sollten. Dabei sollten wir die zweite Rosine in demselben Anfängergeist essen wie wir die erste Rosine gegessen haben. Ich gebe zu, dass ich bei der zweiten Rosine noch die Vorstellung von der ersten Rosine im Kopf gehabt habe und nicht mitbekommen habe, dass die zweite Rosine einen leicht veränderten Geschmack und auch eine leicht veränderte Konsistenz gehabt hat. Genauso verhält es sich auch mit anderen Dingen, und so stumpfen wir langsam aber sicher ab gegenüber den täglichen Gewohnheiten, zum Beispiel der, dass wir morgens ohne Schmerzen aufwachen. Ich habe mir angewöhnt, nach dem Aufwachen drei tiefe Atemzüge zu nehmen und meinem Körper zu danken, dass ich schmerzfrei aufgewacht bin.
4. Vertrauen
Mein Lebensmotto war bisher „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, was der Grundhaltung des Vertrauens beim MBSR diametral entgegengesetzt ist. Beim MBSR lernst du, dass du deinem Körper, deiner Intuition, deiner inneren Stimme, deiner inneren Weisheit mehr und mehr vertraust. Das ist nicht leicht, denn als Asthmatiker, der einige Male knapp dem Erstickungstod entronnen ist, habe ich gelernt, meinen Körper als Feind anzusehen, der mich umbringen will und dem ich misstrauen muss, um zu überleben. Umso wohltuender war die Wirkung beim MBSR, vor allem bei der Atemmeditation, zu bemerken, dass der Atem meinen Brustkorb weitet und mich in die Entspannung führt. Und das Schönste: Ich muss nicht einmal dafür etwas tun, sondern darf es einfach nur geschehen lassen.
Mein Lebensmotto war bisher „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, was der Grundhaltung des Vertrauens beim MBSR diametral entgegengesetzt ist. Beim MBSR lernst du, dass du deinem Körper, deiner Intuition, deiner inneren Stimme, deiner inneren Weisheit mehr und mehr vertraust. Das ist nicht leicht, denn als Asthmatiker, der einige Male knapp dem Erstickungstod entronnen ist, habe ich gelernt, meinen Körper als Feind anzusehen, der mich umbringen will und dem ich misstrauen muss, um zu überleben. Umso wohltuender war die Wirkung beim MBSR, vor allem bei der Atemmeditation, zu bemerken, dass der Atem meinen Brustkorb weitet und mich in die Entspannung führt. Und das Schönste: Ich muss nicht einmal dafür etwas tun, sondern darf es einfach nur geschehen lassen.
5. Nicht-Streben
Mit Nicht-Streben ist gemeint, dass wir einmal innehalten sollen, ohne einen Zweck zu verfolgen, ohne ein Ziel zu erreichen. Achtsamkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass du nichts erreichen musst. Du musst nicht entspannter werden, du musst nicht gesünder werden, du musst noch nicht mal achtsamer werden. Du versuchst also nicht, anders zu sein, als du gerade bist, sondern einfach so zu sein, wie du gerade bist. Als ich das einmal kapiert hatte, war es ungeheuer entspannend, denn ich hatte mich die ganze Zeit während der Meditation angestrengt, etwas zu erreichen, und konnte das auf einmal alles loslassen und zum ersten Mal in meinem Leben wirklich entspannen. Ein Beispiel: Wenn ich mich zur Meditationsübung hinsetzte und denke: „Gleich werde ich ruhig und entspannt“, suggeriere ich meinem Geist, das es mir im Moment nicht gut geht und dass mir etwas fehlt. Das setzt mich zusätzlich unter Druck und lässt mich noch unentspannter sein.
6. Akzeptanz
Sehr viel Lebenszeit vergeuden wir damit, die Dinge zu bekämpfen, die anders sind als wir sie gerne hätten. Wir klammern uns an unsere Vorstellungen, halten unsere Meinungen für allgemeingültige Wahrheiten und sind unfähig, anzuerkennen, dass jeder Mensch seine eigene Realität hat. Diese Sturheit erzeugt Spannung und Druck und verhindert Heilung. Unter Akzeptanz verstehe ich die Fähigkeit, die Dinge so anzunehmen, wie sie sind. Bevor wir etwas ändern können, müssen wir zuerst den Ist-Zustand akzeptieren. Wenn ich beispielsweise akzeptiere, dass ich im Moment ein paar Kilogramm zuviel auf den Rippen habe, dann bedeutet das nicht, dass ich das gut finden muss und mich damit zufrieden gebe. Es bedeutet auch nicht, mich gehen zu lassen und jeden Abend eine Tafel Schokolade zu futtern, weil eh alles egal ist. Es bedeutet auch nicht, in Resignation zu verfallen und mir zu sagen, dass ich es sowieso nie schaffen werde, abzunehmen. Akzeptanz ist die eigene Bereitschaft, die momentane Situation klar und vorurteilsfrei und bewertungsfrei anzunehmen und entsprechend der Situation zu handeln. In meinem Fall bedeutet das, Sport zu machen oder zu meditieren oder drei tiefe Atemzüge zu machen, wenn eine Fressattacke kommt.
7. Loslassen
Es ist die Frage, wie wir mit den erfreulichen und unerfreulichen Momenten des Lebens umgehen. Jeder Mensch möchte am liebsten nur noch angenehme Erfahrungen machen und keine unangenehmen Erfahrungen mehr. Das ist unrealistisch. Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Moment zu Moment, von Augenblick zu Augenblick, und jeder Moment, jeder Augenblick kann eine Lernerfahrung beinhalten, die uns für unser Leben prägt. Loslassen ist das, was wir im Schlaf ganz natürlich tun jede Nacht, wenn wir zu Bett gehen und einschlafen. Wenn es uns nicht gelingt loszulassen, finden wir auch keinen Schlaf. Im MBRS geht es darum, im Wachzustand loslassen zu können, das gilt soviel für die schönen als auch für die weniger schönen Augenblicke.
Fazit nach 8 Wochen MBSR
Was hat mir MBSR gebracht? Ich kann besser schlafen, bin geduldiger mit meiner Ungeduld, bin gelassener mit meinen Schwächen und dankbarer für meine Stärken. Ich höre mehr auf die Signale meines Körpers und tue mehr Dinge, die mir gut tun. In Gesellschaft bin ich weniger gestresst und kann mehr Situationen so sein lassen, wie sie sind. MBSR ist eine der am besten durch Studien erforschten und wissenschaftlich dokumentierten Methoden der Welt und trägt tatsächlich dazu bei, dass sich im Gehirn durch Neuroplastizität mehr Aktivität entfaltet und Strukturen verändern, einfach durch tägliche achtsamkeitsbasierte Meditationsübungen.
Interview mit Jon Kabat-Zinn in der SRF-Sendung „Sternstunde Philosophie“ (14.02.2016)
https://www.youtube.com/watch?v=uq8Ea41omhw
Homepage Kristin Turnblad:
http://mbsr.turnblad.de
Über den Autor:
Oliver Bartsch ist Online-Journalist, Multimediaentwickler, Fachjournalist mit Schwerpunkt Psychologie, Komplementärmedizin, alternative Wohn- und Arbeitsformen, regenerative Energien, Klimawandel, Religion, Spiritualität, Philosophie, Gestalttherapeut im Praxis- und Supervisionsjahr
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