2021-02-28

Einheitserfahrung – Heilung auf allen Ebenen



Es war ein einschneidender Tag in der Biographie von Ramon Pachernegg. Ein Tag, den der Filmemacher als einen über die Zeit erhabenen Monolith an Wahrhaftigkeit und Einheitserfahrung in seinem Inneren behalten wird.

Nachdem ich mich jahrelang mit den tieferen bis transpersonalen Schichten unseres Bewusstseins auseinandergesetzt und durch Praktiken wie Meditation, Schamanismus und Heilströmen sowie das Studium der integralen Theorie von Ken Wilber viele Erfahrungen gemacht hatte, war die Spannweite zwischen der Intensität von temporären mystischen Einheits-Erfahrungen und mir als Person, die diese Erfahrungen macht und erlebt, soweit auseinandergeklafft, dass ich mit „mir“ buchstäblich nichts mehr anzufangen wusste. Trotz ausführlich antrainierter Achtsamkeits- und Gelassenheitspraxis war ein Punkt der absoluten Irritation und Unvereinbarkeit mit meinem Alltagserleben erreicht. Was dann als eine Art Brandbeschleuniger hinzukam, war die Begegnung und der folgende intensive Austausch mit einem Menschen, der wie aus dem Nichts in mein Leben getreten ist.

Ein unbekanntes Resonanzfeld

Ein Resonanzfeld, in dem ich die Intensität, Klarheit und Eindeutigkeit meiner eigenen Erfahrungen endlich in einer Weise ansprechen konnte, die nicht nur auf tiefstes Verständnis stieß, sondern das mich sogar anregte und ermutigte, mich noch mehr dem anzuvertrauen, was sich mir über die Jahre schon immer wieder so unmissverständlich gezeigt hatte (z.B. in kontemplativen Meditationserfahrungen und ähnlichem).

Nicht dass mir die Begrifflichkeiten neu waren, seit Jahren fand ich viel Orientierung vor allem bei dem Autor und Philosophen Ken Wilber, der sehr ausführlich von den oben genannten Bewusstseins-Zuständen schreibt und diese auf ein solides Fundament stellt. Seit Jahren richtete ich auch schon einen Großteil meine Arbeit als Filmemacher auf die Vermittlung von Bewusstseinsinhalten aus. Aber in einer unmittelbaren persönlichen Begegnung war mir das neu.

Das Erstaunliche daran war, dass ein so ehrlicher, reflektierter, herzlicher und aufrichtiger Austausch, wie er zwischen uns auf dieser Ebene möglich war und ist, die bereits gesäten Samen in meinem Bewusstsein nun tatsächlich zum Aufblühen brachte. Das, was ich so lange zum Teil in einer seltsamen Einsamkeit mit mir selbst ins Reine bringen musste, nämlich dass es da etwas ganz unmittelbar Erfahrbares gibt, was die reine Identifikation mit unserem personalen Selbst zutiefst in Frage stellt, was unser Zeitempfinden auflöst, was uns sprichwörtlich von den Fesseln der reinen Vergänglichkeit befreit…, war plötzlich in tiefster authentischer Übereinstimmung mit einem Gegenüber. Ohne Anspruch auf Rechtfertigung, Berechtigung oder Berichtigung.

Es fühlte sich so an, als könnte sich das, was sich über die Jahre an innerem Mitteilungsbedürfnis bis hin zur Sehnsucht nach wirklicher Übereinstimmung auch zwischenmenschlich aufgestaut hatte, nun endlich befreit seinen Weg hinein ins Sein bahnen.

Die Notwendigkeit nach einem radikalen Shift

Gleichzeitig erhöhte sich der innere Druck in mir in einer Weise, die ich bislang nicht kannte. Die Notwendigkeit nach einem radikalen Shift in mir war ganz offensichtlich spürbar. Das Hin- und Herpendeln zwischen den Welten der temporären Einsichten und der ganz normalen Alltagswahrnehmung von mir als Person war gefühlsmäßig an ein natürliches Ende gekommen. Es waren Entscheidungen zu treffen, privat wie beruflich – Entscheidungen, die die Polarität zwischen meinem Alltags-Ich und meinem Intuitiven-Ich auf eine harte Probe stellten.
Die Nacht der Sonnenwende

Aus dieser starken inneren Intuition heraus folgte ich dem Impuls, am Tag der Sonnenwende vom 20. auf 21. Juni 2020 eine Nachtwanderung auf eine nahe gelegene Alm zu machen, mit dem Vorhaben, von der Dämmerung weg, die Nacht unter freiem Himmel durchzuwandern. Erwähnt sei, dass sich das Wetter an diesem Tag als alles andere als einladend präsentierte. Grau und regnerisch so gut wie über ganz Österreich, mit wenig Aussicht auf Besserung. Trotz allem wollte ich mich auch einiger inneren Unkenrufe zum Trotz nicht vom Wetter abhalten lassen und fuhr im strömenden Regen los, Richtung Alm, die rund 40 Autominuten entfernt gelegen ist.

Schon auf der Fahrt erlebte ich einen heftigen energetische Druck, sowohl mental als auch körperlich, der sich bald zu einem inneren Monolog steigerte. Es war, als würde ich mich selbst bis aufs Äußerste herausfordern: „Wenn die tiefste existenzielle Durchdringung verlangt, dass ich selbst dafür zur Gänze weichen und verschwinden muss, um endlich heil, also ganz zu werden mit dem, was ich schon sooft innerlich ‘gesehen’ habe, dann bin ich Hier und Jetzt bereit dafür.“

In etwa diesem Tonfall sprach ich zu mir selbst als einem imaginären Gegenüber und ich weiß nicht mehr, ob ich das laut oder nur in Gedanken gemacht habe. Jedenfalls war die gesamte Autofahrt von diesem inneren Monolog begleitet, während ich gegen den unaufhörlichen Regen anfuhr. Als ich die Alm über einen befahrbahren Forstweg erreichte, wusste ich bereits, dass in mir etwas im Begriff war, sich vollständig neu auszurichten und eine Einheitserfahrung zu machen. Ich machte eine erste Pause, an einer Kuhweide, der Regen war mittlerweile in ein sanftes Nieseln übergegangen. Ich stand da und während ich einen Tee trank, hatte ich das Gefühl, dass mein Kopf so weit war wie der gesamte Himmel über mir. Glasklare Worte und Sätze überströmten mein inneres Gewahrsein, ohne auch nur die geringste Gedankenanstrengung, vielmehr fühlte es sich an wie eine „Durchsage“ von einer Quelle, die mir zwar zutiefst vertraut schien, aber die ich erst jetzt, seit unschätzbar langer Zeit, zum ersten Mal wieder hören konnte.

Was möglich war, kritzelte ich in mein Notizbuch, halb im Stehen an die Heckscheibe gelehnt, auf wackeligem Untergrund – Stabilität genug, um die Essenzen behalten zu können. Als ich mein Auto abstellte und los wanderte, war der Redeschwall in mir so intensiv, dass ich im Gehen einfach weiter notierte. Die Dämmerung setzte schon ein, weit und breit war kein einziger Mensch zu sehen, und was am Erstaunlichsten war: Der Regen hatte vollkommen aufgehört.

Die Einheitserfahrung des Göttlichen

Das Hochplateau war überstrahlt von einem mystischen Sonnenuntergang und ich selbst fühlte mich durchströmt von einer schier unermesslichen freud- und kraftvollen Energie. Es war ein sprichwörtliche Einheitserfahrung in mir, in der Natur, im Moment. Auf einem Felsen sitzend, sah ich der verschwindenden Sonne zu, und einfach da zu sein, war das größte Geschenk, die größte Gnade – war ein Da-Sein im innersten Zuhause und im gesamten Feld meiner Wahrnehmung.

Keine mystische Einheitserfahrung in temporärer Verzückung, sondern ein glasklares, hochdifferenziertes Präsent-Sein – ein Hier und Jetzt, in dem alle Erscheinungen Platz und Raum haben, befreit von gedanklichen Interpretationen, wahrgenommen durch meine persönliche Essenz. Eine Essenz, das spürte ich ganz deutlich, die als einzigartiger Ausdruck und einzigartige Facette der Wahrnehmung in jedem Menschen und ferner jedem zur Wahrnehmung fähigen Lebewesen wohnt. Was es bedeutet, Heilung auf allen Ebenen des Seins zu erfahren, ist mir seitdem als unmittelbare Einheitserfahrung zugänglich, hat sich unauslöschlich in mein Gedächtnis geschrieben. Es ist die blockadenbefreite energetische Durchdringung aller Körper- und Wahrnehmungsschichten, mit der selbst-schöpferischen Ur-Energie, die als reines Bewusstsein den ganzen Kosmos durchzieht und hervorbringt. Man könnte sie auch als göttliche Energie bezeichnen.

Einheitserfahrung durch innere Abwesenheit

Was dies ermöglicht, ist die innere Abwesenheit, die Abwesenheit einer 2. Person, die als vermeintliches Subjekt dem Göttlichen gegenübersteht. Diese Durchdringung geht wie ein sanfter, aber zielgenauer Strahl mitten durchs Herz und weitet sich von dort aus. Dieser Strahl berührte mein Herz auf dieser Alm, und ich ließ mich davon berühren und durchfluten – bis sich auch der letzte Spalt und auch der letzte noch so kleine Haarriss zwischen mir und der Welt vollends auflöste und einfach keine Trennung mehr wahrnehmbar war.

Eine Einheitserfahrung, die alle meine vorangegangenen Einheitserfahrungen bestätigte, aber erstmals auch zur Gänze verwandelte: in eine Unmittelbarkeit der vom personalen Selbst befreiten transpersonalen Wahrnehmung, wo Körper, Ich, Geist, Natur und Welt innig ineinander verwoben sind und dabei gleichzeitig alle Aspekte und Elemente bis ins kleinste Detail erhalten bleiben, ohne dass sich jedoch irgendwo eine Trennlinie zwischen Hier und Dort wahrnehmen ließe. Die intuitive und selbstschöpferische Klarheit, die diese Form der Wahrnehmung durchzieht, lässt Unterscheidung, Vielfalt- und Einheitserleben gleichermaßen aufsteigen und vergehen (vergehen im Sinne, dass sich nichts davon gedanklich festmachen lässt).

Ferner ist jeder Gedanke, der wohl hauptsächlich einer geistigen Gewohnheit des Festhaltens und Verstehen-Wollens entspringt, ein unmittelbarer Ausdruck einer nicht-existenten, aber umso scheinbareren Trennung, die von dieser Position aus augenblicklich als unangenehm bis schmerzvoll empfunden wird. Ich könnte mich nun noch ewig weiter im Kreis drehen in der Beschreibung von Dingen, die sich letztendlich der Beschreibbarkeit, Vermittelbarkeit und Verstehbarkeit entziehen. Und zwar nicht, weil es so etwas Besonderes oder schwer Erreichbares wäre, sondern nur deswegen, weil es etwas ist, das nur in jedem einzelnen Menschen als tiefste Selbst-Erkenntnis zur Blüte und Reife gelangen kann. Alles davor wäre ein hohles Konzept, ein leeres Dogma, ein fragiles Glaubensgebäude ohne Inhalt, Substanz und Kraft.

Alles danach entspringt dem innersten Vertrauen, dem innersten Sehen, dem innersten Für-Wahr-Halten einer Wirklichkeit, von der man nicht nur gehört oder gelesen hat, sondern die man auch zutiefst erfahren und erlebt hat. Dieser schmale Pfad am Weg der inneren Selbst-Erkenntnis und Rückanbindung bleibt keinem einzigen Individuum erspart, nur so kann Gott bewusst zu sich selbst zurückfinden, indem sich jeder auf seinem ureigenen Weg und auf seine ureigene Weise wieder an das „Eine in Allem“ erinnert.

Der Weg zurück

Mittlerweile war es, nachdem ich mich in einem Holzverschlag kurz ausgeruht hatte, stockdunkel geworden und wohl schon nach Mitternacht, und so wanderte ich bei langsam einsetzendem Regen zurück in Richtung meines Ausgangspunktes, wo mein Auto geparkt war. Dieser knapp 3-stündige Rückweg durch die Dunkelheit und Stille hochalpiner Wälder war begleitet von Zweifeln, von Momenten der Leere, von dem Wunsch, etwas von der Einheitserfahrung festhalten zu wollen, bis hin zu Trauer, Wut und einem Gefühl der Banalität. Jetzt, wo in mir ganz ohne ersichtlichen Grund wieder so viel Ich-Empfindung da war. Gleichzeitig konnte ich tiefe Demut empfinden und musste über mich selbst lachen, der schon wieder im Begriff war, diesem Reflex des „Haben- und Behalten-Wollens“ zum Opfer zu fallen. So fiel es mir leichter, einfach mit allem zu sein, was sich mir jetzt gerade zeigte. Und das im Weitergehen war hilfreich und heilsam, um meinem Geist und allen Gedanken einfach ihrem natürlichen Lauf zu überlassen. Gegen 3 Uhr Morgens erreichte ich mein Auto und richtete mich auf dem Fahrersitz zum Schlafen ein. Doch daran war nicht zu denken. Im Minutentakt nahm ich mir die Schlafbrille vom Gesicht und notierte „innere Durchsagen“, die zu intensiv auf mich einströmten, als dass ich sie so einfach vom unverlässlichen Bewusstseins des Dämmerschlafes davontragen lassen wollte:

Es ist Gott jenseits der Dualität, Gott jenseits von Subjekt und Objekt, Gott in sich selbst, ohne Innen und Aussen – ein Ich-loser Gott, als geheiltes Selbst. In Deiner Vollkommenheit zu sein – nicht durch meine Augen, durch Deine Augen in die Welt zu sehen, das ist mein tiefster Wunsch. Dein tiefstes Sein ist frei von jeglicher Begierde. Alles Sein ist Ausdruck Deiner tiefsten Gnade. Mystisches Sein beginnt und endet in Dir. Deinem kosmischen All-Sein ergebe ich mich hingebungsvoll. Alles Endliche strebt nach Erlösung in Dir. Frei von Inhalt, Raum und Zeit gewahrst Du die Unendlichkeit. Dein Sein vergeht nicht in der Zeit, noch in der Grenzenlosigkeit. In Deinem Sein ist alles Sein erhaben und vollendet. Und heute stirbt der Weltensohn und lässt sich frei. Wenn „Er“ in Dir erwacht, ist alles Sehnen ausgefüllt. Ein Moment in Gott ersetzt die ganze Weltlichkeit.

Über den Autor:
 
Ramon Pachernegg lebt und arbeitet vorwiegend in Österreich und ist Mitglied der Obenaus Community (Südsteiermark bei Ehrenhausen). Er ist Vater einer Tochter, Gründer des Vereins und der Website WEGE ZUM SELBST, moderner Mystiker, Filmemacher und Heilströmer. Auf WEGE ZUM SELBST finden sich spirituelle Erfahrungsräume für erwachende und erwachte Menschen.

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