Seit Jahrzehnten prangert Jean Ziegler Elend, Unterdrückung und
Ausbeutung an, er verunglimpfte einen Schweizer Bankmanager als „Geier“,
man zerrte ihn vor den Kadi. In dem Sachbuch „Ändere die Welt“ für er
seine Mission fort. Am 15.3. tritt Ziegler in der Comedia auf.
Von Thomas Geisen
Jeder und jede von uns muss in jedem Augenblick
seines und ihres Handelns klar wählen, wo er oder sie steht“, schreibt
Jean Ziegler. Wenn jemand das Recht hat, diese Haltung einzufordern,
dann ist es der Schweizer Soziologe, Politiker, Menschenrechtler,
Globalisierungskritiker, Kommunist und Konzernschreck. Seit Jahrzehnten
prangert er Elend, Unterdrückung und Ausbeutung an, er verunglimpfte
einen Schweizer Bankmanager als „Geier“, viele Eidgenossen nannten ihn
„Landesverräter“, man zerrte ihn vor den Kadi. „Um mich finanziell zu
ruinieren, und so zum Schweigen zu bringen, wurden neun Prozesse gegen
mich angestrengt“, schreibt Ziegler in „Ändere die Welt“. Die
Schadensersatzforderungen summierten sich auf mehrere Millionen
Schweizer Franken, da Ziegler alle Prozesse verlor. „Ich (war) am Ende
tatsächlich ruiniert“.
„So furchtbar wie eh und je“
Finanziell
vielleicht, seine Mission, seinen Feldzug gegen die „Tyrannei der
Oligarchen des globalen Finanzkapitals“ setzte er fort, wofür dieses
Buch, auch eine persönliche Bilanz, fulminant Zeugnis ablegt. Hunger und
Not sieht Ziegler nach Europa zurückgekehrt, die Welt sei wieder voller
Kriege, „so furchtbar wie eh und je“, klagt er. „Nach den blutigen
Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien, auf dem Balkan, in
Afghanistan und im Irak wüten heute Kriege in Syrien, im Jemen, im
Ostkongo, im Süden und Westen des Sudan, in der Zentralafrikanischen
Republik, in Myanmar, auf den Philippinen und weiteren Regionen der
Welt“. Ziegler nennt den Dschihadismus, den christlichen, jüdischen,
hinduistischen und buddhistischen Fundamentalismus, sieht die „Feinde
der Vernunft“ aber auch in westlichen Ländern am Werk, wo
antidemokratischen Kräfte sich ausbreiten. Beispiel USA, die – neben 112
anderen Staaten – Folter als notwendig billigen.
Aus
der Anamnese folgt die Therapie: Ziegler legt mit „Ändere die Welt“ ein
Handbuch für den Kampf gegen die „kannibalische Weltordnung“ vor. Denn
am Ende kann und muss die „neue, weltumspannende Zivilgesellschaft“
gegen die Ungerechtigkeit aufstehen. „Alles, was das Böse braucht, um zu
triumphieren, ist das Schweigen der guten Menschen“, zitiert Ziegler
warnend den schottischen Philosophen Edmund Burke.
Klassenkampf
Die
Arbeit des Intellektuellen (und damit des Soziologen Ziegler) ist für
den Schweizer „subversiv“ – das heißt ein Akt, der in Konflikt mit den
herrschenden sozialen Strukturen gerät. Denn es werden Strategien ans
Licht gebracht, wie gesellschaftliche Strukturen entstehen. „Kein
Machthaber kann das dulden“, schätzt Ziegler. Das hört sich nach
Klassenkampf an, ist es irgendwie auch.
Denn eines
seiner Hauptanliegen ist die Entlarvung der seiner Auffassung nach
menschenfeindlichen Ökonomie: „Heute ist die mächtigste und zugleich die
gefährlichste metasoziale Begründungsweise die »Naturalisierung«
ökonomischer Fakten.“ Die Ökonomen, die Manager und Banker, die er auch
schon mal als Halunken, Räuber oder Mörder bezeichnet, „berufen sich auf
sogenannte »Naturgesetze der Wirtschaft«, um den Menschen aus seiner
eigenen Geschichte zu vertreiben, um präventiv jeden Ansatz von
Widerstand zu brechen und ihre Profite abzusichern.“ Ziel: Die
Selbstregulierung des Weltmarktes, endlich befreit von aller Einmischung
von Staaten, Gewerkschaften, Bürgern.
Die schlimmste Konsequenz aus der als neoliberal
klassifizierten Politik ist das „durch Unterernährung und Hunger
verursachte Massaker an Millionen von Menschen“. Für Ziegler „ein
skandalöser Ausdruck des Kampfes der Reichen“. Sein Urteil: „Ein Kind,
das heute an Hunger stirbt, wird ermordet“.
Er
appelliert an „alle Aktivisten der weltweiten Zivilgesellschaft“, die er
durch den „moralischen Imperativ“ angetrieben sieht, die Kräfte zu
bündeln für „eine solidarische Gesellschaft, die Humanisierung des
Menschen, die Entfaltung all seiner unendlichen schöpferischen Kräfte,
seiner Fähigkeit, glücklich zu sein, zu lieben, kurzum seiner Freiheit“.
Und
den Verzagten, den Gleichgültigen, den Entrechteten gib Ziegler, der
sich selbst nicht als Idealisten, sondern als vernunftbegabt sieht, noch
einen Rat: „Es gibt keine Ohnmacht in der Demokratie“.
Lit.Cologne: Lesung mit Jean Ziegler am 15.3. in der Comedia.
Jean Ziegler: „Ändere die Welt!“, dt. von Ursel Schäfer, Bertelsmann, 288 S., 19,99 Euro. E-Book: 15,99 Euro.
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