Staatsgläubigkeit und Staatsmystifizierung haben eine lange Tradition in Deutschland. Und obwohl den Deutschen in Ost und West im vergangenen Jahrhundert bitterste Lektionen darüber erteilt wurden, was aus jeder Art von Staatsgläubigkeit erwachsen kann: Geändert hat sich nichts. Sie lassen sich weiterhin vom Leviathan Staat freiwillig entmündigen und als Sozial-Untertan an der Leine führen. Die (Selbst)Kontrolle der Gesellschaft erfolgt über die Gebote und Verbote der politischen und moralischen Korrektheit.
Die Deutschen, die zwei Weltkriege, mehrere Staatsbankrotte und Währungsreformen zu erleiden hatten, die den Zusammenbruch von nationalem Sozialismus und Marxismus auf eigenem Boden und auf der ganzen Welt miterleben konnten und können, die tausend Milliarden aufgewendet haben, um den Bankrott des schäbigen SED-Regimes zu heilen, die inzwischen weit mehr als die Hälfte des Jahres für das Finanzamt arbeiten, die seit Jahrzehnten ungezählte Vermögensmilliarden durch den ständigen Kaufkraftverlust des Staatsgeldes verlieren, die jeden Pulsschlag ihres Alltags mit Quittungen und Steuerbelegen dokumentieren sollen und die über die elementaren Ziele ihrer Existenz (wie Art und Ort der Bildung ihrer Kinder oder Dauer und Preis ihrer Tages- und Lebensarbeitszeit, oder die Aufteilung des Vorsorge-Budgets ihres Einkommens) nicht selbst bestimmen bzw. entscheiden dürfen: Diese Deutschen haben immer noch nicht bemerkt, »dass etwas nicht in Ordnung ist« (Roland Baader). Sie halten den alles-regulierenden und alles-bestimmenden Staat für unverzichtbar, ja für einen humanitären Höhepunkt nicht nur der deutschen, sondern der gesamten Menschheitsgeschichte. Wer daran zweifelt, ist ein »Kalter Krieger« wider den sozialen Frieden, ein »Ellenbogen-Kapitalist«, der hat ein »falsches Menschenbild «.
Man kann wohl zu Recht sagen, dass sich generell die Bürger in den westlichen Wohlfahrtsstaaten ein (sozial)staatszentristisches Weltbild zu eigen gemacht haben. Und in diesem Weltbild führen Überlegungen fatalerweise auch dann in die Irre, wenn sie »in sich« logisch, vernünftig und schlüssig sein sollten. Mit der Parole »soziale Verantwortung« wird den Bürgern oder bestimmten Gruppen von der politischen Kaste eingeredet, sie hätten eine – meist in Geld oder Abgaben definierte – Verantwortung für andere Gruppen zu übernehmen. Es handelt sich hierbei nicht etwa um eine mysteriöse »höhere« Verantwortung, sondern um systematische Verantwortungslosigkeit als gesellschaftspolitisches Prinzip und als sozialpolitischer Imperativ. Denn im schuldeninduzierten Wohlfahrtsstaat wird das Band zwischen Leistung und Ertrag, Haftung und Risiko, zwischen Beitrag und Nutzen zerrissen. Dann kann der Kern aller Moral, die persönliche Verantwortung nämlich, nicht mehr stattfinden.
Kollektive Verantwortung gibt es nicht. Deshalb kann es eben auch keine Kollektivmoral geben, und folglich ist das Moralische des Sozialstaates nur eine Schimäre. Alle anderen Parolen sind nur rhetorische Blüten der politischen Falschmünzerei. Der entmündigte Sozialuntertan wird obendrein wie zum Spott als »mündiger« Bürger tituliert.
Deutschland ist das Land der »mündigen Bürger«, die sonst in keiner anderen politischen Sprache vorkommen. »Mündige Bürger« ist eine Lügenvokabel, die stets verwendet wird, wenn es der politischen Klasse darum geht, von der Bevormundung der Bevölkerung abzulenken. Dieselben Politiker, denen generell der Mut fehlt, den Wählern die Wahrheit zu sagen, die stattdessen schamlos das Geschäft der Wählerbestechungsdemokratie zum Zwecke des Machterhalts betreiben, die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen fordern und den Kindern ideologisch präformierte Einheitsschulen mit gewerkschaftlich approbierten Unterrichtsinhalten oktroyieren. Offenbar ist der Bürger in den Augen der ihn kujonierenden Funktionäre, die Volksvertretung und Volksbeherrschung miteinander verwechseln, ein zu Unvernunft und Lasterhaftigkeit neigendes Individuum, das vor sich selbst von der paternalistischen Obrigkeit beschützt und gelenkt werden muss.
Hier zeigt sich die bösartige Menschenliebe der politischen Linken. Der Bürger, von der politischen Klasse als »mündig« tituliert, um desto ungenierter bevormundet werden zu können, sieht sich zunehmend einer öffentlichen Betreuung ausgesetzt, die sein Bestes will, aber seine Freiheit sukzessive begrenzt. Deutschland leistet sich ein Maß an Volkspädagogik, an Indoktrination sozial-sozialistischer Gesinnung, die so beispielslos ist wie effektiv, weil sie sich in einem demokratisch legitimierten System abspielt.
Der Bürger ist Objekt öffentlicher Fürsorge (eigentlich: Obsorge), ist Organspender, Steuerzahler, Gurtträger, Nichtraucher, Müll-Trenner, umweltschonender Verbraucher, Energiesparer, Anti-Rassist, Anhänger der Emanzipation, behördenerprobter Formularausfüller, Anti-Alkoholiker, Vegetarier, Sparer und Zeichner von Staatsanleihen. Wahlweise lässt er sich zum Steuersünder, Verkehrssünder, Umweltsünder oder Sünder gegen die politische Korrektheit machen. Offensichtlich haben die Menschen in Deutschland nur ein schwach ausgeprägtes Bewusstsein der eigenen Rechte und Freiheiten; es gibt hierzulande auch keine Organisation, wie die American Civil Liberties Union, die über die allgemeinen Freiheitsrechte wacht.
Die Deutschen wehren sich, wenn es um Sonderinteressen geht, um Zuschüsse, Steuervorteile, soziale Besitzstände. Aber die Freiheiten, an denen alle teilhaben, finden keinen gesellschaftlichen Rückhalt. Dass das weiche Klima des Sozialprotektionismus ihre Köpfe schon korrumpiert hat, zeigt ihr Pawlow’scher Reflex des Widerstands gegen jede in Aussicht gestellte Leistungsverringerung. Parteien und Verbände, Kirchen und Gewerkschaften sind Anwälte der Freiheit nur gelegentlich und eher zufällig, immer dann nämlich, wenn eine Freiheitseinschränkung mit dem eigenen Interesse praktisch oder ideell kollidiert. Im organisatorisch immer perfekt funktionierenden deutschen Obrigkeitsstaat haben sich übrigens auch nie die Unternehmer für Freiheiten engagiert, die nicht unmittelbar auf ihr Interesse bezogen sind. Die stromlinienförmigen und stets angepassten Manager finden in der Rastlosigkeit ihr Glück, Bürgerrechte interessieren sie eher nicht.
Die Intellektuellen fürchten sich fast noch mehr als die Politiker vor einem selbstbewussten, aufgeklärten und freiheitsliebenden Bürgertum. Der Bürger als Citoyen, davor gruselt sich die intellektuelle Klasse geradezu. Sie bevorzugen selbstverständlich die sozialstaatliche Total-Betreuung, nach dem Wörterbuch des Unmenschen also derjenige Terror, für den der Terrorisierte noch dankbar zu sein hat; er bezahlt ihn übrigens auch. Die angeblich »mündigen« Bürger sind in Wahrheit nichts anderes als die »fröhlichen Sklaven« (Norbert Bolz) des Sozialstaats.
Nicht die Politikverdrossenheit ist das Problem unserer »Wohlfahrtsdemokratie«, sondern die geradezu infantile Haltung der Menschen gegenüber dem Staat. Wohlfahrtsstaatspolitik erzeugt Unmündigkeit, also genau den Geisteszustand, gegen den jede Aufklärung kämpft. Dieser demokratische Despotismus entlastet den Einzelnen vom Ärger des Nachdenkens und des eigenverantwortlichen Handelns. Ein Netz präziser Vorschriften liegt über der Existenz eines jeden und macht ihn auch in den einfachsten Dingen abhängig vom vorsorgenden Sozialstaat. In der Tat bringt diese »fröhliche Sklaverei« unter teilweise marktwirtschaftlichen Bedingungen fast allen einen akzeptablen Lebensstandard.
Wer die Freiheit (und Verantwortung) als eigene Möglichkeit nicht wahrnimmt, der lernt im Laufe der Zeit, die Freiheit anderer zu hassen. Aber dieser Hass verkleidet sich als Sozial-Sozialismus. Das ist der zutiefst unmoralische Kern: Der Sozialstaat entzieht den Menschen Freiheit und Verantwortung. Er macht sie zu unmündigen und unmoralischen Menschen. Dieser Staatsuntertan wird von der Politik schon fast zynisch als »mündiger Bürger« bezeichnet. Die Mündigkeit des Bürgers besteht darin, »gegen Rechts« auf die Straße zu gehen, deutsche Geschichte stets als »verbrecherisch« zu deuten, möglichst viele Asylanten aufzunehmen, Parallelgesellschaften als »Bereicherung« zu empfinden, mit Sparlampen das Weltklima zu retten, aber keinesfalls nachzufragen, was die EZB und Brüssel mit deutschen Steuergeldern und Spareinlagen anstellen.
Die bis zum Fanatismus gesteigerte Gesinnungsethik führt zur Selbstentmündigung. Die Vorstellung, dass der Staat eine väterliche Autorität, dass er jedermanns Wächter ist, stammt von den Sozialisten. Sicherlich gibt es viele Menschen, die zu viel rauchen, obwohl es für sie besser wäre, nicht zu rauchen. Hier zeigt sich, was Freiheit wirklich bedeutet. Unterstellt man einmal, dass es gut sei, den Menschen zu verbieten, sich durch Rauchen, Trinken oder übermäßigen Zuckerverzehr selbst zu schaden, ist die Frage, was dann folgt. Hat man einem solchen Verbot erst einmal stattgegeben, werden andere kommen und sagen: Ist der Körper alles? Ist nicht der menschliche Geist viel wichtiger? Wenn man dem Staat das Recht zugesteht, über den Verbrauch des menschlichen Körpers zu entscheiden, kann man auch argumentieren, dass der Mensch sich schadet, wenn er schlechte Bücher liest, schlechte Musik hört, sich schlechte Filme anschaut. Räumt man erst einmal ein, dass es die Pflicht des Staates sei, den Alkoholkonsum zu kontrollieren, was kann man denen antworten, die behaupten, die Kontrolle von Büchern und Ideen seien noch viel wichtiger? Freiheit bedeutet eben auch die Freiheit, Fehler zu machen. Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es in Deutschland eine Regierung, die es als ihre Pflicht ansah, zwischen guter und schlechter Malerei zu unterscheiden, zwischen guten und schlechten Büchern und zum Schluss folgerichtig auch zwischen lebenswertem und nicht lebenswertem Leben.
Der »mündige Bürger« mutiert zum Mündel der Staatsbürokratie. Und der »mündige Bürger« wird von den Politikern regelrecht gepflegt und verhätschelt, weil sie ihn nicht zu fürchten brauchen. Wenn sie Respekt vor ihm hätten, würden sie, eben weil er mündig ist, aufhören ihn als solchen zu bezeichnen. Für mündig halten die Parteien den Bürger nur in dem Moment, da er ihnen die Stimme gibt. Die mit der Politik verknüpften Massenmedien sorgen mit ihren Programmen der verblödenden Antiaufklärung für die entsprechende Meinungsbildung in der breiten Bevölkerung.
Selbst die maßgebliche Online-Enzyklopädie Wikipedia ist bei brisanten Themen ideologisch geprägt. Im Netz verbreiten sich daher Namen wie »Schwindelpedia« oder »Wikilügia«. Und jeder, mag er sich noch so sehr wehren, ist dem Druck der öffentlichen Meinung ausgesetzt. So verschweigt die Mehrheit aus Angst vor sozialer Isolation ihre tatsächlichen Ansichten und überlässt einflussreichen Minderheiten das Feld der politischen Willensbildung. Der intellektuelle Kotau gilt heute als »politisch korrekt«, eine rot-grüne Pseudo-Religion beherrscht das Land.
Quellen:
http://www.misesde.org
Christoph Braunschweig: Die demokratische Krankheit, München 2012.
Johannes Gross: Phönix in Asche, Stuttgart 1989, S. 175.
Johannes Gross: Unsere letzten Jahre, Stuttgart 1981, S. 104-112.
Joachim Fest: Die schwierige Freiheit, Berlin 1993.
Ludwig von Mises: Vom Wert der besseren Ideen, München 2008.
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