2025-11-14

James William Kaler: „Das Auge, mit dem ich das Göttliche sehe, ist dasselbe Auge, mit dem das Göttliche mich sieht.“


In dieser Wechselwirkung lösen sich alle Gegensätze auf. Der Sehende, das Gesehene und das Sehen verschmelzen zu einem kontinuierlichen Strom des Bewusstseins. Es ist keine Erfahrung, die man festhalten kann – es ist der Moment, in dem sich das Bewusstsein in sich selbst zurückzieht und entdeckt, dass es nie wirklich einen „Beobachter“ oder „Beobachteten“ gab, sondern nur den Akt der reinen Wahrnehmung.

Psychologisch fühlt es sich an, als würde man durch den Boden des eigenen Geistes fallen – als würde jede Schicht des Selbst, auf die man sich einst verlassen hat, sich in Transparenz auflösen. Spirituell ist es der Tod der letzten Illusion: der Illusion der Getrenntheit.

Die Sprache versagt hier, denn beschreiben heißt trennen, und es gibt keine Trennung mehr. Für den Uneingeweihten mag das wie Vernichtung klingen. Aber für den hermetischen Mystiker ist es Befreiung – die süßeste Hingabe. Denn nur wenn es kein „Du” mehr gibt, das die Tore bewacht, kann das Unendliche ungehindert durchfließen. Nur wenn das Gefäß zerbricht, kann der Ozean seine Form zurückgewinnen.

Das ist keine Flucht aus dem Leben. Es ist das Leben – unverhüllt, ungefiltert, strahlend in seiner Unmittelbarkeit. Jeder Klang wird zu einer heiligen Resonanz. Jeder Atemzug zu einer Hymne. Jeder Herzschlag zum Puls des Wirklichen.

Wer aus diesem Zustand zurückkehrt, ist nicht mehr derselbe. Er bewegt sich durch die Welt wie sichtbare Stille – mühelos, präsent, transparent für die Quelle. In ihm wird jede Handlung zu einem Ritual der Bewusstheit, zu einem Spiel des Göttlichen, das Menschsein spielt.

In der hermetischen Sprache ist dies das Geheimnis von Fana* – die Auflösung des persönlichen Selbst – und doch bleibt nicht Leere zurück, sondern eine unermessliche Fülle. Die Vernichtung der Trennung ist keine Zerstörung, sondern eine Offenbarung. Die Erkenntnis, dass es von Anfang an nie eine Trennung gab.

Wenn das Schwarze Licht des Absoluten das falsche Selbst verschlingt, zerstört es nicht – es enthüllt. Und wer sich völlig hingibt, entdeckt, dass die Dunkelheit, die er einst fürchtete, nichts anderes ist als sein eigenes Spiegelbild, leuchtend und ewig, das durch das Auge des Göttlichen zurückblickt.

Quelle: James William Kaler

[*Fana bedeutet „ vor dem Tod sterben “, ein Konzept, das von berühmten persischen Mystikern wie Rumi hervorgehoben wurde. Es gibt Kontroversen darüber, was Fana genau ist; einige Sufis definieren es als die absolute Auflösung des menschlichen Egos vor Gott, wodurch das Selbst zum Instrument von Gottes Plan in der Welt wird (Baqaa).]

[übersetzt von max: Lieben Dank James💖Wir freuen uns über eure Unterstützung, Danke💖]

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