2015-08-05

Die Zeit nach dem Erwachen

Es gibt in unserer Zeit immer mehr Menschen, die eine Veränderung ihres Bewusstseins erleben, oder anders ausgedrückt, die zu einem veränderten Bewusstsein erwachen. Dieses Erwachen bedeutet nicht, dass man damit von allen irdischen Sorgen befreit ist. Im Gegenteil, neue Herausforderungen stellen sich ein, um nicht in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Um diese möglichen neuen Krisen und Herausforderungen und wie man damit umgehen kann, darum geht es im Folgenden.


Was bedeutet Erwachen?

Aus einem Bewusstsein, in das der normale Mensch hineingeboren wird und aufwächst, das man Alltagsbewusstsein nennen kann, erwacht man durch eine tiefe Erfahrung. In dieser Erfahrung erlebt man meist sehr intensiv eine andere Wirklichkeit, die das, was man bisher zu sein glaubte, zur Illusion werden lässt. Man erkennt, dass das Ich oder Selbst, das man von sich aufgrund vieler Botschaften aus dem Umfeld in der Kindheit entwickelt hat und mit dem man sich identifiziert, im wahrsten Sinne des Wortes „eingebildet“ ist, dass es nicht wirklich existiert. Der Zustand von Getrenntheit in der dualistischen Wahrnehmung eine Illusion ist und man in Wirklichkeit Teil eines größeren Ganzen ist, aus dem eine tiefe Verbundenheit zu allem, was existiert, Natur und Lebewesen, erfahren wird. Man nicht Körper, Verstand und Gefühl ist, sondern dies alles hat und nur diese wie alle Formen auch vergänglich sind. Nur der gegenwärtige Augenblick existiert und Zeiträume wiederum nur im Augenblick wahrgenommen werden können.

Wenn der erwachte Mensch bewusst in der Gegenwart lebt, lebt er nach dieser Erfahrung in diesem neuen Bewusstsein. Wenn er aus dieser Gegenwart hinausfällt, übernimmt das Unbewusste wieder die Macht. Die alten Konditionierungen, Identitäten und Identifikationen, Egostrukturen sowie neue Ängste wie auch Widerstände können sich wieder einstellen. Häufig sind diese Ängste mit Fragen verbunden.

Ängste und Widerstände

Folgende Ängste bzw. Widerstände können sich einstellen:

Angst vor der Leere, d.h. ohne Identität zu sein.

Fragen: „Wer bin ich denn dann noch?“ „Was bleibt denn dann von mir übrig?“ „Wie kann ich ohne eine Identifikation mit etwas weiterleben?“

Angst vor dem Neuen, Unbekanntem, noch nicht Vertrautem.

Mit dem bisherigen Leben, selbst wenn es mit viel Leiden und Sorgen verbunden war, bin ich vertraut. Diese Vertrautheit gibt mir so etwas wie eine Art von Sicherheit. Wie kann ich ohne diese „Sicherheit“ weiterleben, wenn ich die alten Strukturen aufgeben, loslassen muss?

Angst vor den Konsequenzen einer veränderten Lebensweise.

„Wie wird mein Umfeld darauf reagieren?“ „Was bedeutet das für meine Beziehungen wie Partnerschaften, Familie und Freunde?“ „Was bedeutet das für meine berufliche Arbeit, für mein berufliches Umfeld?“

Angst vor Verantwortung

Wenn ich nur meiner „inneren Stimme“ folge und mich nicht mehr anpasse, wie wird mein Umfeld darauf reagieren?“ „Wird man sich von mir abwenden?“ „Wie kann ich damit umgehen?“ „Werde ich jetzt zum Egoisten abgestempelt?

Fehlentwicklungen und Krisen

Bei diesem Prozess des Erwachens können sich Fehlentwicklungen einstellen:

Alte Egostrukturen können sich wieder einstellen. Das kann sich darin zeigen, dass sich eine neue Identität unbewusst entwickelt, zum Beispiel, die eines “erwachten Menschen“, der sich von den nicht-erwachten Menschen abgrenzt und sich für weiter entwickelt hält als die anderen. Man sieht sich als etwas Besonderes wenn nicht sogar als etwas Auserwähltes.

Man sieht sich in der Rolle eines spirituellen Lehrers, der mit missionarischem Eifer auch andere zu dieser anderen Wirklichkeit hinführen soll.

Eine andere Gefahr kann darin bestehen, dass man mit den Energien, die mit dem Erwachen sich entwickeln, nicht umgehen kann. Statt diese Energien zu erden und die Aktivitäten des Alltags zu integrieren, hebt man ab. Das kann zur Folge haben, dass man mit dieser Welt nicht mehr zurechtkommt und aus dieser Welt fliehen will, zum Beispiel, indem man unentwegt meditiert, auch um diese Erfahrungen zu wiederholen.

Rückfälle in alte Bewusstseinsstrukturen können zu Krisen führen. Man hat erfahren, wie und was sein kann und wird nun mit der alten Wirklichkeit konfrontiert. Es kann zu Selbstverurteilungen führen. Man sieht sich in einer Versagerrolle und geht äußerst kritisch mit sich um.

Es können Verdrängungsprozesse stattfinden, man haftet übermäßig am Licht an und unterdrückt den Schatten, der im Prozess des Erwachens nicht einfach verschwindet. Dadurch wird viel Energie unnötig bei diesem Unterdrücken verbraucht.

Alle diese Entwicklungen können vor allem dann auftreten, wenn man auf diesen Prozess des Erwachens nicht vorbereitet war und auch niemand da ist, der einem bei der Integrierung dieser Erfahrungen in den Alltag hilft.
Neu in der Welt sein

Wie kann das weitgehend vermieden werden bzw. wenn diese Probleme auftreten, wie kann man damit umgehen?

Ein sehr schönes Bild eines Menschen nach seinem Prozess des Erwachens vermittelt die alte Zen-Geschichte vom Hirten und dem Ochsen. In einzelnen Bildern wird dargestellt, wie der Hirte auf der Suche nach dem Ochsen, Symbol für den Menschen auf der nach seinem Selbst, durch verschiedene Stufen geht. Am Ende verschwinden dann alle Identitäten. Das vorletzte Bild ist leer. Das letzte Bild aber zeigt dann den Hirten wieder auf dem Markt wie zuvor. Er ist wieder da, aber anders.

Nicht vor der Welt zu fliehen sondern in ihr zu wirken, darum geht es: Aus einem anderem Bewusstsein, einer anderen Wirklichkeit zu leben und damit neu in Beziehung zu dieser Welt und natürlich ihren Menschen zu sein. In diesem neuen Bewusstsein sind Verbundenheit, Akzeptanz und kreatives Handeln wesentliche Qualitäten. Das Ego, als Charakteristikum des Alltagsbewussteins der Getrenntheit, ist überwunden.

Stabilisierung des Lebens nach dem Erwachen

Diese andere Wirklichkeit, die der Erwachte erfährt, ist in jedem Menschen angelegt. Man kann sie auch die wahre Natur des Menschen bezeichnen. Sie ist wie die Sonne am Himmel immer da. So, wie wir in der Umgangssprache sagen, dass die Sonne nicht scheint, weil sie durch Wolken verdeckt ist, so ist auch diese innere Sonne durch unsere falsche Sichtweisen und Identifikationen, verdeckt. Fast alle Menschen machen in ihrem Leben eine solche Erfahrung. Sie ist aber nur kurz da, bleibt unvergesslich, wird aber nicht so interpretiert, dass man in diesen Augenblicken erkennen konnte, was diese Erfahrung bedeutet, daraus zu erkennen, dass man in diesem Augenblick seine wahre Natur erfahren hat, der oder das, was man wirklich ist.

Die Sonne scheint nur in der Gegenwart. Gedanken, die in die Vergangenheit schweifen oder bereits die Zukunft herbei denken, sind dann wieder die Wolken. Das geschieht aber immer weniger. Der erwachte Mensch wird nicht mehr in der gleichen Weise wie zuvor überwiegend mit seinen Gedanken in Vergangenheit oder Zukunft sein. Viele der bisherigen Ängste haben nicht mehr die gleiche Wirkung wie zuvor. Das macht es leichter, mit mehr Achtsamkeit und Bewusstheit zu leben, präsent und gegenwärtig zu sein. Wenn man wieder in eine Identifikation hineingerät, merkt man es rasch und schafft dann als Beobachter Distanz dazu.

Die Essenz dieses neuen SELBST als Ausdruck seiner wahren Natur ist die einfache Tatsache des „Ich bin“. Ich bin nicht dies oder das, sonder nur dieses „Ich bin“. Es hat jetzt Körper, Verstand, Gefühle und die vielen verschiedenen Rollen in seinem Leben in Beziehungen, in der Familie, im Beruf, im sozialen Umfeld. So wie ein Schauspieler dann am besten ist, wenn er sich ganz mit seiner Rolle identifiziert und gleichzeitig immer weiß, wer diese Rolle spielt, so kann es auch in den Rollen des normalen Menschen, die er in seinem Leben spielt, ein Schauspieler auch bewusst sich völlig identifizieren, aber jetzt eben bewusst.

Meditation als Lebensweise

Wer Zen-Meditation praktiziert oder schon davon gehört hat, weiß, dass man während des Meditierens übt, sich auf die Wahrnehmung des Atmens zu konzentriert. Es kommen auch dann weiterhin Gedanken. Wenn man die aber erkennt, kann man sofort wieder zum Atmen, d.h. zur Wahrnehmung des Atmens zurückkehren. Diese Praxis von Meditation ist eine gute Übung, um auch während der anderen Zeit gegenwärtig sein zu können, um dadurch das Wachsein zu stabilisieren. Die bisherigen Konditionierungen, Verhaltensweisen, Glaubensmuster sind weiterhin unbewusst vorhanden. Wenn sie wieder aufkommen, nimmt man sie wahr und ist in diesem Augenblick wieder in der Gegenwart und bewusst da. Wenn man zum Beispiel mit seinen Gefühlen, wie zum Beispiel Wut, voll identifiziert ist, ist man wütend. Nimmt man die Gefühle, so die Wut, einfach aus der Distanz wahr, hat man sie. In diesem Zustand agiere ich bewusst und reagiere nicht mehr unbewusst.

Dies ist die neue Lebensweise des Erwachten. Diese Grundhaltung des Beobachtens wird mit der Zeit nach längerer Übung und Praxis konditioniert, d.h. man muss nicht mehr viel dafür tun. Die zuvor beschriebenen Ängste und Tendenzen zum Rückfall in alte Bewusstseinsstrukturen können so auch erkannt werden, wenn sie sich wieder bemerkbar machen. In dem Augenblick, in dem ich sie wahrnehme, haben sie keine Macht mehr über einen.

Der Erwachte erkennt, dass und wie man aus diesem neuen Bewusstsein anders lebt. Leben ohne Identifikation schafft den Kontakt zum Überbewussten, zum transpersonalen Bewusstseinsraum. Gegenwärtigkeit schafft auch ein anderes Denken. Man ist jetzt weniger mehr dem zwanghaften gedanklichen Geschwätz und dessen ständigen Wiederholungen konfrontiert. Die Gedanken sind mehr mit Einfällen, kreativen gedanklichen Prozessen beschäftigt. Man nimmt das, was man auch die „innere Stimme“ nennt, wahr und fühlt sich in seinem Leben geführt von dieser Quelle in sich. Diese Klarheit ist vielleicht die wichtigste Qualität, aus welcher der erwachte Mensch jetzt lebt. Es fällt leicht Entscheidungen zu treffen, weil man Stimmigkeiten und Unstimmigkeiten wahrnimmt.

Woran erkennt man einen erwachten Menschen?

Mein Zenlehrer sagte einmal, „Hütet euch vor denen, die erleuchtet aussehen (wollen).“ ‚Erleuchtet‘ könnte man mit ‚erwacht sein‘ gleichsetzen. Das heißt, wer diesen Eindruck eines solchen „erwachten“ Menschen von sich vermitteln möchte, ist es sicherlich nicht.

Den Buddha auf dem Marktplatz, den aus seinem Alltagsbewusstsein erwachten Mensch, erkennt man anseiner Präsenz, an seiner Anwesenheit im Augenblick,
seinem aufrichtigen Interesse, mit dem er zuhört,
seinen Blicken, wie er einen anschaut,
der heiteren und warmen Ausstrahlung seiner Gesichtszüge
dem, was er sagt und wie er spricht,
der gütigen Art, wie er Menschen, auch fremden, begegnet,
einer offensichtlichen Freiheit von Ängsten und Sorgen
seiner sachlichen Wahrnehmung, ohne negative Bewertung und Beurteilung

Er nimmt sich selbst nicht mehr wahr als einen Menschen, der spirituelle Erfahrungen macht. Er erkennt sich als ein spirituelles Wesen, das menschliche Erfahrungen macht.

Gelesen bei: https://bewusstscout.wordpress.com/2015/08/05/die-zeit-nach-dem-erwachen/

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