2015-05-02

Altenbetreuung: Diese verdammte Lieblosigkeit

Wir sind unglücklicher über einen kaputten Computer als über eine kaputte Großmutter, und wir lassen Roboter-Robben auf Demenzkranke los: Was für eine erschütternde Entwicklung. 



Die Zukunft, die wir uns an unseren Computern vorstellen, diese schöne goldene Zeit mit ihrem Fortschritt, der menschliche Fehler eliminiert: Hoffentlich werden wir sie noch erleben.

Selbstfliegende Flugzeuge - aus aktuellem Anlass. Selbstfahrende Autos, großartig. Keine hupenden, rasenden Besoffenen mehr, keine Leute, die sagen: "Ich fahre gerne sportlich." Und damit meinen: "Ich bekomme meinen Arsch sonst nicht bewegt, blicke aber gerne auf meinen Unterarm, wie er den Schaltknüppel in die Gänge rammt."

Dann: Kinderkriegen für über 60-Jährige - welche Welle der Erregung ging durch die mediale Online-Welt. Alte Frauen, die Kinder kriegen, statt, wie sonst normal, Politikerinnen zu sein. In der Zukunft kein Problem, denn jeder, der einen Eignungstest besteht, kann Nachwuchs haben. Besser liebevolle 60-Jährige als dumpfe 20-Jährige. Lieblosigkeit Kindern gegenüber, ein komplettes Rätsel. Wer jemals den Film "Ponette" gesehen hat, weiß, wovon ich schreibe. Kann jemand, der begreift, wie sich Kinder fühlen, diese Kinder schlagen, quälen, ignorieren oder vergessen?

Gleich unverständlich ist die Mitleidlosigkeit alten Menschen gegenüber. Wenn sie nicht Nazis waren oder bei der Waffen-SS, macht mich unfreundliches Verhalten Alten gegenüber ratlos. In der Zukunft werden die Probleme der Altenbetreuung komplett an Maschinen delegiert - neben Kuschelrobben für Demente gibt es erste Versuche mit Roboterpflegepersonal, ist das nicht großartig.

Endlich keine schlecht bezahlten Altenpfleger mehr, sondern Sauberkeit, Maschinen, Geräte, die Liebe spenden, das könnte man auch für Kinder andenken, und schon bliebe mehr Zeit für die Selbstoptimierung der noch Leistungsfähigen.

In der Zukunft wird am besten alles, was mit Gefühlen, mit Liebe und Freundlichkeit zu tun hat, von Maschinen erledigt, die scheinen zuverlässiger. Wir Nichtmaschinen bauen uns Plastikteile in den Körper, machen stundenlang Sport, hängen neben der Arbeit im Internet und treffen uns mit Menschen, die wir nicht kennen, zu Spielen, an denen andere verdienen, wir googeln und twittern, wir laufen und stöhnen, wenn wir einmal im Monat zu irgendwelchen Alten müssen, mit denen wir aus Versehen verwandt sind.

Viele sind unglücklicher über einen kaputten Computer als über ihre kaputte Großmutter und glauben, dass all die wunderbaren Bekannten eine Familie ersetzen. Und vielleicht haben sie recht.

Wahrscheinlich aber nicht.
Die Erfahrung, dass in absolut lebensbedrohlichen Krisen, bei schwerer Krankheit, Verarmung, Verlust eines Partners oder einer Partnerin, nur wenige unserer wunderbaren Freunde dazu taugen zu trösten, da zu sein, ohne ein Zeitlimit, ohne Ungeduld wegen der Langwierigkeit des öden Leidens, ist erschütternd. Keinem zu wünschen. Es bleiben meist nur ein, zwei Menschen, die einen halten, aushalten in so einem Fall.

Die meisten verzichten heute auf den Zusammenhalt einer Familie. Sie besuchen schlecht gelaunt die Alten im Heim, fahren gelangweilt zu den Eltern, sitzen angeödet bei Onkeln und Tanten. Sie vertrauen in eine wunderbare Zukunft, in der all die Jobs, die früher Familienmitglieder übernehmen mussten, von guten, ehrlichen Maschinen erledigt werden. Mit putzigem Robbenfell.



Gelesen auf: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sibylle-berg-ueber-den-umgang-mit-alten-menschen-a-1031528.html

Bild: http://www.derwesten.de

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