2018-01-19

Aum Mani Padme Hum: Die Integration von Dualität und Polarität


Von Ethan Indigo Smith auf Wake Up World; übersetzt von Taygeta

Aum mani padme hum‘ ist ein Mantra des tibetischen Buddhismus mit vier Symbolen und sechs Silben. Diese kraftvolle Invokation wird als das Mantra des Buddha betrachtet und soll die Essenz aller buddhistischen Lehren enthalten.


Da es für diese Phrase keine direkte Übersetzung gibt, wurde deren Bedeutung im Westen auf verschiedene Weise interpretiert, und das Mantra wird von westlichen Praktizierenden oft als Klangfolge verwendet, deren spiritueller Nutzen weit über die streng traditionelle Bedeutung hinausgeht. Jedoch kann uns das Verstehen der Bedeutung der Symbole und Klänge in diesem Mantra helfen, uns selbst zu entwickeln und unser Bewusstsein zu erhöhen, durch die Integration von Dualität und Polarität.

Das Mantra ‚Aum mani padme hum‘steht für die universelle mitfühlende Weisheit und den Weg, den Mikrokosmos des Selbst auf den Makrokosmos der Umgebung anzuwenden. Es ist eine Matrix von vier; eine Satz von Zeichen, die die Integration von Dualität und Polarität widerspiegelt – das Universelle und Individuelle, durch einander und ineinander, wie ein metaphysischer Spiegel. Die Kraft von ‚Aum mani padme hum‘ soll durch ein fünftes Element, shri oder hri, aktiviert werden, welche sich auf die Göttlichkeit selbst bezieht.

Das Urmantra ‚Aum‘ (auch ‚Om‘ geschrieben) bezieht sich auf das Bewusstsein in seinen vier Zuständen und symbolisiert speziell in diesem Mantra den universellen Makrokosmos. ‚Mani‘ bedeutet Juwel und steht für das Juwel, welches das mitfühlende Wesen ist. Im Mani enthalten sind die drei Juwelen, die des Buddha, des Dharma (der buddhistischen Lehre) und desjenigen, der das Dharma versteht. Zusammen bilden sie das vierte Juwel der Integration, Vajra genannt. ‚Padme‘ bedeutet Lotusblume (symbolisiert mit vier Blättern) und symbolisiert in diesem Mantra den Weg, enthaltend die vier Aspekte Yantra (Philosophie), Mantra (Klang), Mudra (physische Positionierung) und Tantra (Integration). ‚Hum‘ steht für den Begriff des beglückenden Gefühls oder der Dankbarkeit, als auch für den Mikrokosmos und die Integration. Es enthält vier (und manchmal auch fünf) Teile: Erde, Luft, Wasser, Feuer (und Äther) und repräsentiert die fünf Formen des Bewusstseins und die vier Grundlagen der Achtsamkeit.

„Om ist das Unendliche, aber Hum ist das Unendliche im Endlichen, das Ewige im Zeitlichen, das Zeitlose im Augenblick, das Unbedingte im Bedingten, das Formlose als Grundlage jeder Form, das Transzendente im Vergänglichen: Es ist die Weisheit des grossen Spiegels, der die Leere ebenso reflektiert wie die Gegenstände, und welcher die Leere in den Dingen ebenso offenbart wie die Dinge in der Leere. Die Dinge als Teile zu sehen, als unvollständige Elemente, ist ein geringeres analytisches Wissen. Das Absolute ist überall, es muss überall gesehen und gefunden werden.“ 
~ Lama Anagarika Govinda, Foundations of Tibetan Mysticism

Der Klang von Aum, der zu Beginn von Meditationen und Mantren verwendet wird, besteht ebenfalls aus vier Teilen. Er ist bekannt als der nicht angeschlagene Laut, der Klang des himmlischen Reiches – der Klang, der einfach ist. Es gibt den A-, den U- und den M-Klang im Ausgesprochenen, und der vierte Klang, der unausgesprochene Aspekt, ist der Klang der Stille.

Die Matrix der Vier


Das bekannte Aum-Symbol (Bild rechts) zeigt in seinen vier Kurven die vier Hauptteile, welche die vier verschiedenen Zustände oder Ebenen des Bewusstseins repräsentieren. Der vierte und höchste Zustand – der sich hinter dem Schleier befindet – wird durch den Punkt oder Tupfen über der vierten Kurve symbolisiert.

Die durch das Aum ausgedrückten Bewusstseinszustände umfassen den Wachzustand und den Traumzustand, welche die beiden ersten Polaritäten sind, und die durch die unteren Kurven repräsentiert werden. Dies sind die beiden Hauptaspekte des Bewusstseins, die die Menschen im Allgemeinen auf einer von Tag-zu-Tag Basis erleben. Der dritte Zustand, dargestellt durch die einfache Kurve über den unteren beiden grösseren und komplexeren Kurven, ist der Tiefschlafzustand, der dem meditativen Zustand ähnlich ist. Der vierte Bewusstseinszustand, der im Aum dargestellt wird, ist der am weitesten entwickelte und abgesetzte Zustand in dieser Vierergruppe, und steht für das tiefe Erwachen, auch bekannt als der Ort der Wahrheit hinter dem Schleier der Illusion. Er erscheint im Symbol als einfaches, aber deutliches Zeichen ganz oben, über den anderen Stadien. Es ist der höchste Zustand, der schwer, wenn nicht gar unmöglich zu beschreiben, geschweige denn zu erreichen ist.

Diese vier Bewusstseinszustände werden als Dualität der Polarität dargestellt: das bewusste, das unbewusste, das unterbewusste und höchste Bewusstsein. Die tiefere Philosophie identifiziert aber auch drei Übergangsstadien, je einen zwischen den vier Stufen, was dann insgesamt sieben Stufen ergibt: die vier Hauptzustände des Bewusstseins und die drei subtileren Übergangsstadien.

Das hinduistische Konzept von Turiya bezieht sich auf die vier Bewusstseinszustände, die im Aum symbolisiert werden. Turiya schlägt vor, dass die ersten drei Zustände Teile des vierten Zustandes sind, und schliesslich vollständig zum vierten Zustand führen – dem höchsten Bewusstseinszustand, dem Zustand der Glückseligkeit. Die Turiya-Philosophie bezeichnet meist den vierten Zustand als das Höchste Bewusstseins, jedoch enthalten Turiya, das Aum selbst und das Mantra ‚Aum mani padme hum‘ jeweils Aspekte, die die Idee widerspiegeln, dass der vierte Zustand aus den ersten drei Teilen besteht und einen Entwicklungsprozess – einen Integrationsprozess – darstellt.

Die vier Teile des Aum – die visuelle Darstellung des Aum, der Klang des Aum, die Philosophie des Bewusstseins hinter dem Aum und Turiya, die Integration der drei – widerspiegeln die Matrix der Vier. Darüber hinaus ist jeder der vier Teile eine eigenständige Matrix, und sind Schnittpunkte von Dualität und Polarität.
Aum basiert also auf vier Teilen und reflektiert die Dualität der Polarität in der Ausarbeitung des menschlichen Bewusstseins. Aum beginnt als eine physisch abgeleitete Idee, aber auch als eine Göttliche, als Vorstellung, dass es den Klang der Erschaffung des Kosmos repräsentiert. Es erweitert sich dann in ein grundlegendes Verständnis des Bewusstseins und entzieht sich aber einer Entwicklung: Aum, der nicht angeschlagene Klang, repräsentiert die unveränderlichen, alles durchdringenden Kräfte des Universums, wie etwa die Schwerkraft, ebenso wie das Bewusstsein. Der Klang selbst besteht aus vier verschiedenen Teilen, und der vierte Teil ist verschieden und speziell unter ihnen – es ist die absolute Stille.

Auch das Symbol hat vier Teile. Sie repräsentieren die Dualität von Wachzustand und Schlafzustand, die Polarisierung von tiefem Schlaf und tiefem Erwachen. Wie die Stille und die Integration von Turiya ist auch das tiefe Erwachen der spezielle und tiefste vierte Teil der Gruppe. Es ist Maya, dargestellt durch einen Punkt darüber und einem Schleier darunter. Maya, beschrieben als Meer des Leidens, wird gebildet aus unseren eigenen Manifestationen, ob persönlich oder kollektiv, und es erfordert das Durchdringen des Schleiers, um es zu überwinden – um das Meer des Leidens zu durchqueren.

Indem wir das Mantra ‚Aum mani padme hum‘ verkörpern, und indem wir uns an die Bedeutung des entscheidenden vierten Teils seiner Matrix erinnern – die Stille, die Integration von Dualität und Polarität und das tiefe Erwachen – sind wir alle in der Lage, uns selbst und unser Bewusstsein zu verbessern und zur Erhebung der Menschen um uns herum beizutragen.

„Die Bedeutung der sechs Silben ist gross und gewaltig… Die sechs Silben ‚Om mani padme hum‚ bedeuten, dass du abhängig von der Praxis eines Pfades, der eine unsichtbare Verbindung von Methode und Weisheit ist, deinen unreinen Körper, deine unreine Sprache und deinen unreinen Geist in den reinen erhabenen Körper, reine Rede und reinen Geist eines Buddha verwandeln kannst.“ ~ Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama

Friede,
Ethan

Siehe auch:
Wissenschaftlich gesicherte Gründe für das Chanten von ‚Om‘
OM – Das Heilige und Mystische Wort
Die alte Macht des Chanten (von Mantras) wird durch die moderne Wissenschaft bestätigt
Zu Om Mani Padme Hum auf Wikipedia: Om_mani_padma_hum

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Bei Kommentaren bitten wir auf Formulierungen mit Absolutheitsanspruch zu verzichten sowie auf abwertende und verletzende Äußerungen zu Inhalten, Autoren und zu anderen Kommentatoren.

Daher bitte nur von Liebe erschaffene Kommentare. Danke von Herzen, mit Respekt für jede EIGENE Meinung.