2018-08-05

Osho: Der leere Blick


Ich bin ein Paradoxon – weil ich euch gleichzeitig den Anfang und das Ende zu geben versuche, den ersten und den letzten Schritt. Tilopa spricht vom Allerhöchsten. Er sagt:

Wer sich bemüht, das Dharma einzuüben,
Erkennt die Wahrheit nicht, die jenseits aller Übung ist.
Wer wissen will, was jenseits ist von Geist und Übung,

der darf sich an nichts anklammern, der …

Durchhaut mit einem Schlag die Wurzeln seines Geistes,
Und starrt mit leerem Blick.

Und das nenne ich: „sehen“: mit nacktem Blick zu starren. Ein nackter Blick ist alles, was man braucht, und die Wurzel ist abgehauen. Dieses nackte Starren ist wie ein scharfes Schwert.

So wirst du frei von aller Unterscheidung – Und ruhst in dir.

Gelöst, natürlich, mit bloßem Auge nach innen schauen: Das ist das letzte Wort. Aber du musst behutsam vorgehen, denn der Intellekt ist ein sehr feiner Mechanismus. Wenn du zu sehr in Eile bist und eine zu große Dosis von Tilopa schluckst, dann ist es möglich, dass du sie nicht verkraften und verdauen kannst. Geh langsam voran, nimm immer nur so viel auf, wie du verdauen und verkraften kannst. Und so auch mit mir: Ich sage viele Dinge, weil ihr viele seid, und ich zeige mich auf vielen Ebenen, weil ihr viele seid. Aber nimm nur das an, was dich nähren kann, was du auch verdauen kannst.

aus: Osho, „Tantra – die höchste Einsicht“

Das ist eine ziemliche Schwierigkeit für jemanden, der das, was nicht weitergeben werden kann, wenigstens andeutungsweise weiterzugeben versucht. Es ist überhaupt schon ein Wunder, dass ihm jemand zuhören will. Jetzt muss der arme Mensch erst mal Lehrer spielen und Dinge erzählen, die dem Verständnis und der Bereitschaft des Schülers in etwa entsprechen. In der Didaktik hatten wir dafür den grauenvollen Begriff der „optimalen Passung“. In aller Regel hat der Schüler sehr persönliche Motivationen, die ihn zu dem Lehrer geführt haben, die dringend bewusst werden sollten. Denn: Das Ego lernt immer mit. Hinzu kommt natürlich, dass jeder Schüler völlig anders ist als seine Mitschüler, sodass der Lehrer derart differenzieren sollte, dass ihn das völlig überfordern müsste. Auch für den Lehrer sollte ja so etwas wie „optimale Passung“ erlaubt sein.

Tilopa nimmt auf all das nicht die geringste Rücksicht. Er spricht vom Allerhöchsten. Und für seine Zuhörer gilt: Friss oder stirb. Osho nimmt diese Rücksicht. Und er ging mit der beschriebenen Schwierigkeit für sich so um, dass er sich ständig widersprach und dem Bewusstseinsstand seiner Schüler und ihrer Intelligenz überließ, das für sie Wesentliche herauszuholen.

Osho: „Ich sage viele Dinge, weil ihr viele seid, und ich zeige mich auf vielen Ebenen, weil ihr viele seid. Aber nimm nur das an, was dich nähren kann, was du auch verdauen kannst.“ Aber damit waren viele ziemlich offensichtlich völlig überfordert.

Tilopa singt in seinem Gesang vom Mahamudra:

Wer sich bemüht, das Dharma einzuüben,
Erkennt die Wahrheit nicht, die jenseits aller Übung ist.
Wer wissen will, was jenseits ist von Geist und Übung,
Durchhaut mit einem Schlag die Wurzeln seines Geistes,
Und starrt mit leerem Blick.
So wirst du frei von aller Unterscheidung –
Und ruhst in dir.

Einüben ist ein absichtsvolles Tun, ist Konzentration, ist Anstrengung und Festklammern. Wie sollte jemand mit diesem Ziel je die Wahrheit erkennen, die jenseits aller Übung ist? „Wer wissen will, was jenseits ist von Geist und Übung, durchhaut mit einem Schlag die Wurzeln seines Geistes, und starrt mit leerem Blick.“ Der leere Blick ist ein Blick, der ohne Absicht, ohne Denken, ohne Emotion, ohne jedes Wollen, ohne Ziel einfach schaut.

Das heißt nicht, dass keine Absicht, keine Gedanken, keine Emotionen, kein Wollen und kein Ziel auftauchen dürften. Sollte dies der Fall sein, dann werden sie mit eben diesem leeren Blick einfach als das betrachtet, was sie sind. Keine Unterdrückung, kein Anstreben, einfach Schauen.

„So wirst du frei von aller Unterscheidung – Und ruhst in dir.“Eine Kamera unterscheidet nicht. Sie nimmt nur auf, was ihr vor die Linse kommt. Das kann Mord und Totschlag sein oder ein blühender Kirschbaum. Die Kamera kümmert es nicht. Der leere Blick hält es wie eine Kamera, auch er unterscheidet nicht. Und genau deshalb kannst du in dir ruhen.

Noch einmal: Das hat jetzt nichts mit einem geistlosen, fühllosen Zombie zu tun. Das gehört alles auf die Ebene dessen, was die Kamera aufnimmt und berührt nicht die Kamera selbst.

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