Info-Direkt veröffentlicht heute exklusiv die deutsche Übersetzung eines als „streng geheim“ klassifizierten Telegramms der Saudi-Botschaft in Berlin; es entstammt der soeben veröffentlichten Wikileaks-Dokumentation „Saudi Cables“ und dürfte speziell für den österreichischen Außenminister und seine Bemühungen um eine „europäische Interpretation“ des Islam von Interesse sein:
Botschaft des Königreichs Saudi Arabien
Berlin
Genehmigtes Telegramm
Telegramm Nr. 405/653/3/1 vom 13/6/1433 AH (= 4. Mai 2012)
TOP SECRET
An Ihre Königliche Hoheit den Herrn Außenminister
Der Frieden und die Barmherzigkeit Allahs sei mit Euch!
In Fortsetzung meiner TOP SECRET-Telegramme Nr. 239/3/1/405 mit Datum 30/4/1433 AH (= 6. März 2012) und Nr. 308/3/1/405 vom 6/5/1433 AH (= 29. März 2012) bezüglich der Fatwa von Sheikh Abdul Aziz Al-Sheikh, worin dieser den Aufruf tätigt, alle Kirchen auf der Arabischen Halbinsel zu zerstören, erlaube ich mir mitzuteilen:
Wir erhielten einige sarkastische Nachrichten, welche diese Fatwa des Großmufti von Saudi-Arabien bedauern; das von unserem Land gesponserte Zentrum für den für den Dialog zwischen den Religionen in Wien, der Hauptstadt von Österreich, wies darauf hin, dass es eine große Diskrepanz zwischen den Bemühungen für den religiösen Dialog von König Abdullah Ben Abdulaziz Al Saud – möge Allah ihn beschützen und ihm zur Seite stehen – und der Fatwa des Großmufti von Saudi-Arabien gebe.
Würden uns Ihre Königliche Hoheit freundlichst instruieren, wie wir uns in diesem Zusammenhang positionieren sollen, wobei wir der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass wir beruhigend auf die Gefühle der Deutschen einwirken und dadurch die weise Politik des Schutzherrn der beiden heiligen Moscheen König Abdullah bin Abdul Aziz Al Saud – möge Allah ihn beschützen und ihm zur Seite stehen – unterstützen können.
Wir bitten Eure Hoheit, unsere Grüße in Hülle und Fülle entgegenzunehmen.
Der Botschafter
Osama Bin Abdul Majeed Shobokshi
Aus der Presseerklärung von Wikileaks [1]
Das Königreich Saudi-Arabien ist eine erbliche Diktatur am Persischen Golf. Trotz der berüchtigten Menschenrechtsbilanz des Königreichs ist Saudi-Arabien weiterhin ein enger Nahost-Verbündeter der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs, was seinen Grund vor allem in seinen weltweit einmaligen Ölreserven hat. Das Königreich steht seit langem an der Spitze der Ölförderländer, was ihm eine unverhältnismäßig starke Einflussnahme auf die internationale Politik erlaubt. Jedes Jahr füllt Saudi-Arabien Milliarden von Petrodollars in die Taschen der britischen Banken und der US-Rüstungsunternehmen. Im vergangenen Jahr avancierte das Land zum weltweit größten Waffenimporteur, wobei es China, Indien und sämtliche Staaten Westeuropas weit hinter sich ließ. Das Königreich spielt seit den 1960er Jahren eine wichtige Rolle in der Organisation Erdöl-exportierender Länder (OPEC) und dem Golf-Kooperationsrat (GCC); zudem dominiert es die sog. islamischen Wohltätigkeitsagenden weltweit.
Seit 40 Jahren das Königreich des Außenministeriums wurde von einem Mann geleitet: Saud al Faisal bin Abdulaziz, ein Mitglied der saudischen Königsfamilie, zugleich der weltweit dienstälteste Außenminister. Das Ende der im Jahre 1975 begonnenen Amtszeit von Saud al Faisal fiel mit der Thronfolge nach dem Tod von König Abdullah in Januar 2015 zusammen. Die Handschrift von Saud al Faisal ist bei allen wichtigen Ereignissen und Themen zu erkennen, welche die Außenpolitik Saudi-Arabiens dieser Zeitepoche prägten: begonnen vom Sturz des Schahs von Persien und der zweiten Ölkrise bis hin zu den Anschlägen vom 11. September und dem gegenwärtigen Stellvertreter-Krieg gegen den Iran.
Die „Saudi Cables“ liefern wichtige Einblicke in die Aktivitäten des Königreichs, seine Handhabung von Bündnissen und sein Bemühungen um Konsolidierung seiner Position als regionale Supermacht im Nahen Osten, wozu auch Bestechung und Einflussnahme auf Entscheidungsträger und Schlüssel-Institutionen gehören. Die „Saudi Cables“ veranschaulichen auch die stark zentralisierte bürokratische Struktur des Königreichs, in dem selbst kleinste Fragen an die höchsten Beamten gerichtet werden müssen.
Seit Ende März 2015 ist das Königreich Saudi-Arabien in einem Krieg im benachbarten Jemen engagiert. Die saudische Außenministerium gab im Mai 2015 zu, dass es zu mehreren Einbrüchen in seine Computer-Netzwerke gekommen sei. Die Verantwortung dafür übernahm eine Gruppe, die sich selbst „jemenitische Cyber-Armee“ bezeichnete. Diese Gruppe veröffentlichte in der Folge eine Reihe von wertvollen „Muster“-Dokumenten. Der vollständige Bestand, der WikiLeaks zur Verfügung gestellt wurde, umfasst tausende Male mehr Dokumente, darunter Hunderttausende von Seiten gescannter arabischer Textdokumente. WikiLeaks hat im Zuge einer großen journalistischen Textaufbereitung den Text aller dieser Scanseiten extrahiert und stellt ihn nun in Form einer Datenbank mit Suchfunktion zur Verfügung. Der Gesamtbestand umfasst Zehntausende von Textdateien, Excel-Dateien und E-Mail-Nachrichten, welche durch die WikiLeaks Suchmaschine durchsuchbar gemacht wurden.
[1] wikileaks.org/saudi-cables/press
Beitragsbild: Geheimes Telegramm der Botschaft des Königreichs Saudi Arabien in Berlin
Gelesen bei: http://www.info-direkt.at/top-secret-aus-den-saudi-cables-von-wikileaks/
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