2025-07-19

Otfried Weise: DER WEG DER VERSCHMELZUNG


Dialog zwischen „Ich“ und „Wir“

ICH will frei sein, will entscheiden, wohin ich gehe,
welche Werte ich wähle, welche Stimmen ich höre.
Ich will mich spüren – ganz, unverfälscht, unverwechselbar.
Ich will nicht verloren gehen in der Vielfalt der Gesichter.

WIR: und doch atmest du durch uns. Du bist nicht allein.
Dein Herz schlägt in einem Chor aus Millionen Stimmen,
ein unhörbarer Puls, der alles verbindet.
Dein Atem ist nicht nur dein Lebendigsein –
er ist ein Wirbel aus Winden, die seit Ewigkeit tanzen.

ICH: Aber wenn ich mich hingebe, werde ich dann nicht verschlungen? Bin ich dann nicht namenlos, ein Schatten im Ozean?

WIR: Nein. Du bist ein Tropfen, ja – doch ein Tropfen,
der die Kraft des Ozeans in sich trägt. Wenn du dich weigerst, bleibst du eine Pfütze, verloren auf heißem Stein. Hingabe löscht dich nicht aus. Sie entfaltet dich.

ICH: Und was ist mit meinem Willen? Soll ich ihn aufgeben?
Soll ich willenlos treiben, wie ein Blatt im Wind?

WIR: Gib nicht das Wollen auf – lass das Zwanghafte los.
Lass die Schwere fallen, die du „Kontrolle“ nennst.
Willenlos heißt nicht kraftlos. Es heißt: durchlässig,
offen für den größeren Rhythmus, der längst in dir spielt.

ICH (leiser): Ich fürchte die Nähe. Was, wenn sie mich zerreißt?

WIR (sanft): Dann atme tiefer. Denn Nähe, die zerreißt, ist keine Liebe. Sie ist eine Fessel. Wahre Nähe ist weit. Sie lässt dich sein und ruft dich doch heim in den Kreis des Lebens.

ICH: Und wenn ich falle? Wenn ich mich verliere?

WIR: Dann wird die Erde dich halten. Dann wird die Stille dich beschützen. Dann wirst du verstehen: Es gibt kein Verlieren. Es gibt nur Heimkehren.

DIE VERSCHMELZUNG

Und so schwiegen sie. Die Stimme des „Ich“ schmolz in die Stimme des „Wir“, wie Licht im Morgendunst. Es war kein Ende, sondern eine neue Melodie:
Ich Bin. Wir sind. Ich ruhe in dir, du ruhst in mir.
Zwei Atemzüge – Ein Leben. Zwei Wellen – Ein Ozean.
Ich vertraue der Bewegung. Ich ruhe im Ganzen.

WAHRE FREIHEIT TRÄGT FLÜGEL AUS VERBUNDENHEIT

Quelle: Otfried Weise

3 Kommentare:

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