Lebensmittel anzubieten und verkaufen zu wollen ist derzeit sicher nicht der einfachste Wirtschaftsbereich, den man sich als Unternehmer in Russland aussuchen kann.
Essen müssen die Menschen aber doch und täglich Kohl, Kartoffeln und zum Nachtisch Äpfel kann man mit der Zeit nicht mehr sehen, mit der an sich variantenreichen Kasha geht es einem wohl mit der Zeit genauso. — Eindeutig ein Bild in argen Fehlfarben, wie sich bei näherem Hinsehen zeigt.
Aber so oder ähnlich sieht der Eindruck leider aus, den man hier im Westen teilweise hat von der „erzwungenen“ Ernährungsweise der Russen nach dem Impact der westlichen Sanktionen. Selbst halbwegs gebildete Menschen fragen sich – manche mit Sorge, manche mit Schadenfreude – was um alles in der Welt denn in Russland jetzt auf den Teller kommt, ohne die Importwaren (trotzdem man diese ja teilweise aus anderen Ländern ersetzen konnte).
O je…! Sogar in meinem recht russlandfreundlichen Kreis stoße ich oft genug auf solche Informationslücken. Als ob es nur aus West- und Südeuropa Lebensmittel zu importieren gäbe!
Die Fortsetzung der Gespräche wird dann meist ein wenig mühsam, mir fällt es auch nicht immer leicht sofort einige zum Teil jahrhundertealte russische Traditionsspeisen als Antwort aus dem Ärmel zu schütteln. Speisen, deren Rezepte entwickelt wurden in einer Zeit da sich absolut niemand vorstellen konnte, etwa in Archangelsk im Winter frische Zucchini kaufen zu können – vor allem deshalb, weil man sie vielleicht noch gar nicht kannte. Gut und schmackhaft gegessen haben zumindest jene Menschen, die nicht von akuter Armut geplagt waren, aber dennoch immer. Häufig beginnen meine Gesprächspartner an dieser Stelle die Ohren zu spitzen, denn viel mehr als „Borschtsch-Blini-Kaviar-Vodka“ ist Westeuropäern meist nicht bekannt von der russischen Küche. Noch weniger die ganze Vielfalt eines Landes das sich auch jetzt noch über 12.000 Kilometer von der Ostsee bis zum Pazifik, vom Eismeer bis in subtropische Bereiche erstreckt auf mehr als 17 Millionen Quadratkilometern und Heimat für ungezählte Ethnien ist, verteit auf über 140 Millionen Menschen.
Um nicht selbst in Erklärungsnot zu geraten, habe ich begonnen mich vor allem auf RBTH (Russia Beyond The Headlines), wo es viel russische Kultur und Lebensweise zu finden und zu erforschen gibt, nach russischen Kochrezepten umzusehen. Mit Erfolg soweit, sieht man einmal davon ab, dass man von manchen dieser Köstlichkeiten schon beim Lesen zunimmt! Das muss die winterliche Kälte sein, da fordert der Körper Kalorien = Wärme.
Bei dieser Suche bin ich allerdings auch auf etwas völlig anderes gestoßen. Viele von uns werden sich erinnern, wie eindringlich und in welch lebhaften Farben Präsident Putin bei Beginn der Sanktionen den russischen Unternehmen aller Branchen Dampf gemacht hat, selbst zu entwickeln und zu produzieren was nur immer möglich sei um die Lücken in den Sortiments weitgehend zu schließen, auch und vor allem auf dem Lebensmittelsektor. Offensichtlich ist die Botschaft angekommen und hat gegriffen; nicht nur die konventionelle, sondern auch die organische Landwirtschaft wächst. Den von manchen – vor allem russlandfeindlichen – Medienkonsumenten in den Diskussionsforen bis zum Überdruss gebetsmühlenartig angesprochenen Käse aus Italien und Frankreich gibt es jetzt in bester Qualität teilweise aus Sibirien. Ausgerechnet! Da hätte auch ich zuerst auf Forellen und Lachs getippt.
Über die hier folgende Auswirkung dieses Appells habe sogar ich gestaunt, so freundlich ich diesem Land auch gegenüberstehe und so viel ich den Menschen dort auch zutraue.
Kürzlich habe ich mich wieder einmal auf RBTH herumgetrieben und einen Artikel gefunden, in dem es um Investitionen, Existenz und Überleben ausländischer Supermarktketten in Russland geht, aber nicht nur darum. Das sind Konzerne die überall würden überleben können, die Standorte aufbauen und wieder aufgeben nach Gutdünken. Für mich interessanter war eine Textpassage dieses Artikels vom 17.2.2016, die ich hier zitieren möchte:
„Fast jede zweite Weinflasche in unserem Sortiment kommt mittlerweile aus Russland“, staunt der Russland-Chef [Boris Minailai] des Großhändlers Metro C&C, einer Tochter der Düsseldorfer Metro Group. Die Nachfrage nach russischen Produkten sei gestiegen. Allein in den vergangenen zwei Jahren hat Metro 400 neue russische Lieferanten aufgenommen. „Fast 95 Prozent unserer Waren beziehen wir mittlerweile von einheimischen Herstellern und Zulieferern“, erklärt der Top-Manager.
Na? Wie fühlt sich das an? Ich muss gestehen, ich habe beim Lesen dieser Zahlen gegrinst wie eine satte Katze hinter dem warmen Ofen. Die angebotenen Lebensmittel fast zur Gänze aus landeseigener Produktion! Eines Tages wird das selbstverständlich sein, dass in Russland auch größtenteils Russland drin ist. Gentechnikfrei, die nötigen Antibiotika und Kunstdünger zumindest reduziert, viel Bio-Ware – alles Schätze, für die man hier in Mitteleuropa zumindest sehr genau hinschauen, wenn nicht sogar weit gehen muss. Die Qualitätsstandards die sich jetzt herausbilden werden die westlichen Exporteure zu spüren bekommen, wenn sie nach dem dereinstigen Fallen der Sanktionen versuchen, wieder nach Russland hinein zu drängen! Hoffentlich werden die Gesetze für die Importe von Moskau jeweils umgehend der Entwicklung angepasst.
Was für ein Unterschied zu der sowjetischen Mangelwirtschaft unseligen Gedenkens!
Aber so ist es im Leben: „Die letzten werden die ersten sein.“
Weiterlesen: http://de.sputniknews.com/blogs/20160225/308078420/lebensmittel-sanktionen-russland.html#ixzz41BeogoEm
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