2025-12-27

Klaus Praschak: Die stille Frage nach dem, was uns trägt


Vor einiger Zeit hatte ich mir mal Gedanken darüber gemacht, wie sehr Menschen in ihrem Beruf aufgehen können, dass es sogar bestimmte Ähnlichkeitsmerkmale im Aussehen gibt. Wo ich so sage typisch Banker, oder typisch Metzger, klassische Krankenschwester und ich glaube, dass diese Beobachtung nicht rein subjektiv ist auch wenn sie durch meine Wahrnehmung gefärbt ist. Zunächst einmal: Menschen gehen nicht nur zeitlich in ihrem Beruf auf, sondern oft auch identifikatorisch. Der Beruf ist über viele Jahre ein wiederholter Erfahrungsraum, gleiche Haltungen, gleiche Rollen, gleiche Erwartungen und gleiche Körpersprache. Was über lange Zeit innerlich gelebt wird, schreibt sich nach und nach auch äußerlich ein, in Haltung, Mimik, Gestik, Tonfall und sogar im Blick. Das ist kein mystischer Effekt, sondern ein sehr menschlicher. Psychologisch spricht man hier von Rolleninternalisierung. Wer täglich eine bestimmte Rolle ausfüllt, übernimmt nicht nur Verhaltensweisen, sondern auch die dazugehörigen inneren Einstellungen. Diese prägen wiederum den Körper: Spannung oder Entspannung, Offenheit oder Abgrenzung, Präsenz oder Funktionalität. Ein Mensch „trägt“ seine Rolle irgendwann, auch außerhalb des Arbeitsplatzes. Soziologisch kommt hinzu, dass Berufe kulturelle Codes haben. Kleidung, Frisur, Sprache, sogar Körperpflege folgen oft unausgesprochenen Normen. Wer dazugehören will, und das wollen die meisten unbewusst ,passt sich an. Dadurch entstehen typische Muster, die wir wiedererkennen und dann benennen: „typisch Banker“, „typisch Pflege“, „typisch Handwerk“. Das sind keine Klischees im abwertenden Sinn, sondern verdichtete Wahrnehmungen von Gemeinsamkeiten. 

Mein Empfinden wird auch dadurch geschärft, dass Menschen sich im Beruf häufig stärker definieren als über andere Lebensbereiche. Wenn der Beruf zur Hauptquelle von Selbstwert, Identität und sozialer Zugehörigkeit wird, dann formt er den Menschen tiefer. Wo wenig Ausgleich, wenig innere Differenzierung vorhanden ist, prägt eine Rolle stärker das Ganze. Aus geistiger Sicht ließe sich sagen: Was wir über lange Zeit verkörpern, formt unser Erscheinungsbild. Geist, Haltung und Körper sind nicht getrennt. Wenn ein Mensch viele Jahre aus Funktion, Leistungsdruck oder Anpassung heraus lebt, dann zeigt sich das. Ebenso zeigt sich Fürsorglichkeit, Erdung oder Autorität als Ausdruck. Wichtig ist dabei eine feine Unterscheidung: Ich beschreibe ein Wahrnehmen, kein Abwerten. Problematisch wird es erst, wenn solche Beobachtungen zu Schubladen werden. Doch solange sie aus Aufmerksamkeit und nicht aus Überheblichkeit entstehen, sind sie Ausdruck von Wahrnehmungsschärfe.
 
Aus der Perspektive gelebter Geistigkeit wird meine Wahrnehmung noch einmal tiefer verständlich. Denn hier geht es nicht mehr nur um Rollen, Berufe oder gesellschaftliche Prägung, sondern um die Frage, wie sehr ein Mensch mit dem identifiziert ist, was er tut, und wie sehr er in dem verwurzelt bleibt, was er ist. Wenn Geistigkeit nicht gelebt wird, sucht der Mensch Halt im Äußeren. Der Beruf wird dann nicht nur Tätigkeit, sondern Identität. Er gibt Struktur, Anerkennung, Sinn und Zugehörigkeit. 

Das ist verständlich und zunächst auch nicht falsch. Doch wo diese Identifikation zu stark wird, verengt sie das innere Erleben. Der Mensch beginnt, sich selbst primär als Funktion zu erfahren. Diese Verengung zeigt sich irgendwann auch äußerlich , im Auftreten, im Ausdruck, in der Art, wie jemand im Raum ist. Gelebte Geistigkeit wirkt dem entgegen, nicht indem sie den Beruf abwertet, sondern indem sie ihn relativiert. Der Mensch handelt, arbeitet, übernimmt Verantwortung, aber er fällt nicht mit seiner Rolle zusammen. Es bleibt ein innerer Abstand, ein Raum, in dem Wahrnehmung, Stille und Selbstbezug möglich sind. Dieser Raum verhindert, dass sich eine Funktion vollständig im Körper und im Wesen festsetzt. Man könnte sagen, wo Geistigkeit gelebt wird, bleibt der Mensch durchlässig. 

Rollen dürfen kommen und gehen, ohne das Ganze zu bestimmen. Der Körper bleibt beweglicher, der Blick offener, die Präsenz freier. Selbst nach vielen Jahren im gleichen Beruf tragen solche Menschen etwas Unverwechselbares, das sich nicht eindeutig zuordnen lässt. Sie wirken weniger „typisch“, nicht weil sie sich entziehen, sondern weil sie innerlich angebunden sind. Umgekehrt wird dort, wo diese innere Anbindung fehlt, jede Rolle schwerer. Sie muss tragen, was sie nicht tragen kann. Anerkennung, Sinn, Wert, all das wird vom Außen erwartet. Das führt zu innerer Spannung, zu Anpassung, manchmal auch zu Verhärtung und das geschieht nichtt aus Mangel an Gutem, sondern aus Mangel an innerem Bezug. Gelebte Geistigkeit zeigt sich deshalb nicht zuerst in Worten oder Überzeugungen, sondern im Wie: Wie jemand zuhört. Wie jemand im eigenen Körper anwesend ist. Wie jemand arbeitet, ohne sich darin zu verlieren. Wie jemand eine Rolle erfüllt, ohne von ihr definiert zu werden. In diesem Licht ist meine Beobachtung weniger ein Urteil über andere als ein feines Wahrnehmen dessen, wo ein Mensch innerlich beheimatet ist. Nicht jeder Beruf formt gleich, aber jede Identifikation formt. Geistigkeit bringt hier keine Trennung, sondern Weite: Sie erlaubt, Banker zu sein, Pflegerin, Handwerker und dennoch Mensch zu bleiben, jenseits der Funktion. Der stille Kern meiner Wahrnehmung, ist wohl der, dass der Mensch mehr ist als das, was er tut und dass dort, wo dieses Mehr gelebt wird, etwas im Ausdruck frei bleibt, das sich keiner Schublade ganz fügt.

Klaus Praschak

Bild: printerest.de

Quelle: Klaus Praschak

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