Otfried Weise: GEERDETSEIN

GEERDETSEIN
ist für mich LEBENDIGE NATUR.
Nicht unbeweglich sein.
Es ist langsamer Wandel
wie die Formen der Erde selbst.
Nichts bleibt, wie es war,
und doch geht nichts verloren.

Ich atme den Duft feuchter Erde,
schwer und süß zugleich,
wenn Regen in den Boden sinkt
und Vergangenes sich löst.
Dieser Duft erzählt mir,
dass Vergehen nährt,
dass Wandel Leben trägt.
Mit jedem Atemzug
lasse ich mich tiefer sinken
in dieses Spüren.

Ich beobachte die langsame Arbeit
von Abtragung und Aufschüttung.
Spüre den Lehm, der sich formen lässt,
unter Druck verdichtet wird
und doch elastisch bleibt.
So verändert auch mich das Leben
nachgiebig, stetig, mutig, bewahrend
ohne mich zu verbiegen und in mir ruhend.
Wie ein Ufer,
das sich vom Wasser gestalten lässt,
verändere ich meine Konturen.
Die Schwere bleibt,
der Halt bleibt,
auch wenn die Linien weicher werden.
Sicherheit lebt nicht im Stillstand,
sondern im Vertrauen
auf diesen langsamen Rhythmus.

Im Wald duftet jede Gestalt anders:
frisches Grün, verrottendes Laub,
kalte feuchte Erde.
Alles atmet miteinander,
dicht wie locker, feucht wie trocken, immer voller Leben.
Ich bin Teil dieser Komposition,
getragen von dem, was in mir geschieht.

Wenn ich Stille spüre, erlebe ich:
Die Erde unter mir bewegt sich kaum merklich,
und doch wandelt sie sich unaufhörlich.
Gletscher wandern, Salz blüht aus,
Wurzeln lockern Gestein,
Wasser findet neue Wege, Wind bewegt Dünen.
Und doch ist sie mir Heimat.
ohne jemals zu zögern.

So lerne ich von Mutter- und Vatererde:
Ich darf mich verändern
und bin trotzdem sicher.
Ich darf weich werden
und spüre trotzdem meinen Halt.
In der kühlen, feuchten, dichten Schwere
atme ich Vertrauen
und finde Freude wie Freunde
in diesem tiefgründigen, verlässlichen SEIN.

Quelle: Otfried Weise