“Früher berührte eine Mutter ihr Kind und spielte mit seinem Körper. Auch Liebende spielten mit ihren Körpern, und das war mehr als genug, tiefe Entspannung und Teil der Liebe. Aber heute ist Berührung eine der meistvergessenen Sprachen. Es ist uns fast peinlich, zu berühren und wir haben Angst davor, weil das Wort “Berührung” durch sogenannte religiöse Menschen verschmutzt worden ist.“
(Osho)
Kaspar-Hauser
Die Bezeichnung “Kaspar-Hauser-Versuch” geht zurück auf einen bis heute ungeklärten Vorfall im Jahre 1828 als in Nürnberg ein etwa 16-jähriger verwahrloster Junge auftauchte, der kaum sprechen konnte und Kaspar Hauser genannt wurde. Er machte den Eindruck, auf dem Stand eines Kleinkindes stehen gebliebenen zu sein. Die damaligen Menschen vermuteten, dass Kaspar Hauser lange Zeit einsam in einem Keller gefangen gehalten worden sei, ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt. Weltfremd und gänzlich ohne Berührungen, Liebe und Zuneigung.
Nicht nur Babys brauchen Zuneigung
Bei Säuglingen, Kleinkindern und bestenfalls Jugendlichen steht es um körperliche Zuneigung meistens noch gut. Doch oft werden die Berührungen untereinander, je älter der Mensch wird, immer seltener. Als Junior noch geknuddelt, als Senior fast verstoßen, zumindest was die Berührungen und Zuneigung anbetrifft. Nachfolgend ein paar Beispiele, welche aufzeigen, was passiert, wenn Zuneigung und Berührung ausbleiben. Natürlich sind die Namen frei gewählt und die Ähnlichkeit mit lebenden Personen sind rein zufällig.
Gerhard S. (53)
Gerhard S.’ Mutter starb bei seiner Geburt und wurde von der Großmutter großgezogen. Er ist ein guter Arbeiter und grundsätzlich beliebt an seinem Arbeitsplatz, einer KFZ-Werkstatt. Wenn da nicht sein ständiges Klagen über alle möglichen Krankheiten wäre. Seine Kollegen wundern sich schon lange, was er alles für Krankheiten hat und manchmal beschleicht sie das Gefühl, er erfindet viele davon. Doch sein langjähriger Hausarzt bestätigt all seine Krankheiten, begleitet ihn und hört ihm zu. Seine Werkstattkollegen, allen voran die gutmütige Kollegin aus der Buchhaltung, hören seit Jahren seine Krankheitsgeschichten, reden ihm gut zu und unterstützen ihn. Gerhard lebt förmlich auf, wenn er von all seinen Krankheiten erzählen kann. Er bleibt immer öfter aufgrund von diversen Krankenhausaufenthalten der Arbeitsstelle fern und seine Mitarbeiter erledigen in der Zeit seine Arbeit. Wenn er wieder in der Arbeit erscheint, nimmt er sofort ihre Aufmerksamkeit in Anspruch und erzählt strahlend von all seinen Gebrechen. Die feinfühlige Kollegin erkennt, dass er durch sein (unbewusstes) Verhalten die Zuneigung und Aufmerksamkeit bekommt, welche ihm wohl als Kind vorenthalten wurde und er auch von seiner Ehefrau nicht bekommt.
Xenia F. (35)
Xenia war bereits mehrere Jahre verheiratet, als sie bemerkte, dass sie von ihren Ehemann immer weniger Zuneigung bekam. Die Sexualität verebbte gänzlich, auch ein einfaches Knuddeln vor dem TV blieb aus. Am Anfang nahm sie dies gelassen, dachte sich, dass es Wichtigeres gäbe als diese Berührungen. Doch immer mehr fühlte sie sich vernachlässigt und es fehlte ihr an Zuneigung. Da sie ein ehrlicher Mensch ist, ging sie auch keine Affäre ein und wollte ihren Mann nicht betrügen. Der Groschen fiel, als sie eines Tages bei einer Routinekontrolle bei ihrem langjährigen Arzt merkte, wie sie dessen medizinische Berührungen genoss. Xenia war zutiefst erschüttert über diese Erkenntnis und auch dankbar für das Zeichen. Sie ging kurzerhand eine Affäre ein, weil sie merkte, wie wichtig Berührungen waren und ließ sich kurze Zeit später scheiden.
Robert T. (82)
Besucht alle zwei Wochen seinen Hausarzt, erzählt ihm von alten Zeiten und genießt das regelmäßige Messen des Blutdruckes durch die attraktive Arzthelferin. Der Hausarzt wurde so zu einer Art Vertrauten und Psychotherapeuten für Robert. Er ist alleinstehend und er mag auch keinen Menschen mehr näher an sich ranlassen, denn dies ist ihm zu kompliziert. Er möchte seinen eingefahrenen Tagesablauf nicht mehr ändern.
Das älteste Gewerbe
Man könnte noch weitere Beispiele anführen und ich bin mir sicher, jeder kennt jemanden im Umfeld, dem es ähnlich ergeht. Ich kam zum Schluss, dass es ebenso tragisch und auch fatal ist, im Erwachsenenalter ohne oder nur mit wenigen Berührungen auskommen zu müssen. Der Mensch versucht auf andere Weise zu seinen Berührungen zu kommen, wortwörtlich koste es, was es wolle. So gesehen, hat das älteste Gewerbe der Welt seine Richtigkeit und seine Daseinsberechtigung.
Weiter dürfen wir uns die Frage stellen, ob dies mitunter ein Grund für die stetig steigenden Krankenversicherungskosten ist? Was würde geschehen, wenn nur halb so viele Menschen zum Arzt müssten aufgrund von fehlenden Berührungen? Eine weitere interessante Frage wäre, warum Berührungen, je älter der Mensch wird, immer mehr nachlassen? Passt die beliebte und allseits praktizierte Jugendlichkeit nicht zum Altwerden?
"Zärtlichkeit gibt deinen Wunden eine neue Haut"
(Unbekannt)
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