Im Erwachen der Wahrnehmung liegt der erste Schritt: das ERKENNEN dessen, was sich lohnt, näher betrachtet zu werden. Wie ein sanftes Licht, das in der Dämmerung des Denkens aufflammt, erfasst das Gemüt die Essenz eines Moments. Es ist die bewusste Entscheidung, das, was vor uns liegt – ein Tatbestand, ein Gefühl, ein Gedankenblitz, ein flüchtiger Augenblick – als wesentlich zu würdigen. Ob visuell, gefühlsmäßig oder mental, die Wahrnehmung wird zu einem ersten Dialog zwischen uns und der Welt. Wir entscheiden, dass dieses Phänomen mehr verdient als bloße Oberflächlichkeit, es ruft nach näherem Hinsehen und tieferem Lauschen. Dieses Erkennen offenbart jedoch nur angelerntes Wissen, das noch nicht authentisch von uns selbst ist. Es ist austauschbares Wissen, das wie eine oberflächliche Tünche wirkt, die den Kern nur verhüllt und nicht erreicht. Die meisten Menschen geben sich damit zufrieden. Sie glauben, dass sie jetzt Bescheid wissen. Sie haben bestenfalls gut auswendig gelernt, aber im Grunde nichts verstanden.
Doch das Erkennen ist nur der Anfang; es öffnet das Tor zum VERSTEHEN. In diesem zweiten Akt entfaltet sich das Wesen des Moments in seiner ganzen Bedeutung. Hier fragen wir: Welche Rolle spielt es in unserem Leben? Wie wird seine Funktion lebendig, wenn wir den Schleier des Alltäglichen lüften? Im Verstehen finden wir den Mut, Fragen zu stellen, die über das Sichtbare hinausgehen: Was könnte ich damit bewirken? Welche Möglichkeiten enthüllt dieses Geschenk des Lebens? Es ist ein Prozess, in dem jede Erfahrung in ein Mosaik von Bedeutungen verwandelt wird, in dem wir die Fäden unseres Seins erweitert weben.
Schließlich führt uns der Weg zum BEGREIFEN – dem tiefsten Einfühlen, dem ganzheitlichen Erspüren. Mit allen Sinnen, physisch, emotional, mental, tauchen wir ein in das, was uns zu tiefst bewegt. Wir fühlen, wie der „Gegenstand“ unserer Aufmerksamkeit sanft in unser Innerstes dringt, uns berührt, uns VERÄNDERT. In diesem intensiven Moment des Begreifens, verschmilzt unser Sein mit dem Wesen des Erkannten; wir begreifen seine Aufgabe, seine Bedeutung und formen unsere eigene individuelle Antwort darauf. In diesem Ringen um das vollkommene Begreifen, das uns dazu anregt, das Geheimnis des Moments in seiner Gänze zu erforschen, erreichen wir den alles entscheidenden Punkt der Hingabe: die TRANSFORMATION. Erst wenn wir diese ERLEBEN, können wir wirklich und wahrhaftig sagen, dass wir jetzt eine tiefe Wahrheit über das Objekt unserer Betrachtung herausgefunden haben. Es ist die Wahrheit, die uns FREI macht und uns völlig verändert. Es stellt sich aus eigener innerer Erfahrung WEISHEIT ein.
Das Fazit ist eine Gewissheit in uns selbst: Wir wollen den Gegenstand, den Tatbestand, den Vorgang in all seinen Tiefen ergründen, ausloten, ihn in uns aufsaugen und neu definieren. Wir geben uns der Erforschung hin, leben für diese unermessliche Reise und streben danach, zu tiefst zu begreifen – nicht nur zu sehen, sondern zu fühlen, nicht nur zu verstehen, sondern zu ERLEBEN.
ERST DANN SIND WIR ZU HAUSE ANGEKOMMEN
Quelle: Otfried Weise
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