2022-02-14

DAS DRITTE AUGE AUFBRECHEN



geschrieben von Gary Z McGee, Self-inflicted Philosophy, erschienen auf waking times, übersetzt von Antares

„Wir sind in einem Mysterium gefangen, verschleiert in einem Enigma, eingeschlossen in einem Rätsel.“ ~Terence McKenna

Das Dritte Auge ist eine Metapher für die Wahrnehmung jenseits des gewöhnlichen Sehens. Dieser Artikel argumentiert, dass, um eine Wahrnehmung jenseits der gewöhnlichen Sicht zu erreichen, wir aussergewöhnliche Sprünge von Mut aus dem Gewöhnlichen heraus machen müssen.

Kurz gesagt: Wir müssen das Mysterium re-mythologisieren, es wagen, den Schleier zu lüften, und mutig unser eigenes Rätsel gegen das universelle Rätsel stellen. Lass uns das näher ansehen.

Gefangen in einem Mysterium:

Der Mensch möchte lieber die Leere für seinem Zweck haben, als ohne jeden Zweck zu sein.“ ~ Friedrich Nietzsche

Wir alle fahren blind durch einen unmöglich komplexen Irrgarten, von dem wir alle wissen, dass dies mit einem Frontalzusammenstoss mit einer Wand endet. Das Dasein hat uns zum Scheitern verurteilt. Wenn es nunmehr wirklich darauf ankommt, lautet die Frage: Scheitern wir grossartig oder dürftig? Geniessen wir die Herausforderung des Irrgartens mit all seinen Höhen und Tiefen, Tragödien und Erhabenheit, Versuch und Irrtum? Oder schrecken wir zurück, besiegt und demoralisiert, und erfüllt von Bedauern und Selbstmitleid?

Schuldgefühle und Bedauern sind unnötig. Sie sind Benzin, das auf das Feuer der unveränderlichen Umstände gegossen wird. Sie sind lediglich eine zusätzliche Schicht unnötigen Leidens. Wir können das Feuer nicht kontrollieren, wir können allerdings kontrollieren, wie wir darauf reagieren. Es ist besser, Marshmallows darüber in guter Laune zu rösten, als voller Angst Benzin darüber zu giessen. Es ist besser, grossartig zu leiden als dürftig zu leiden.

Grossartig zu leiden bedeutet, naive, unschuldige und unwissende Mythologie sterben zu lassen und daraus eine erneuerte, innovative und weise Mythologie zu kreieren. Düftig zu leiden bedeutet, an Naivität, Unschuld und Unwissenheit / Ignoranz festzuhalten und niemals den Sprung aus dem Glauben heraus und hinein in die Stärke zu wagen.

Mythen haben die Fähigkeit, das Alltägliche mit dem Ewigen zu verbinden und dem Alltäglichen einen Sinn zu verleihen. Wir sind mythologische Geschöpfe. Wir benötigen Mythen, wie wir Nahrung brauchen. Doch Mythen müssen sich verändern, um verdaulich, relevant und ermutigend genug zu bleiben, um uns weit vorne in der Kurve eines fehlbaren menschlichen Zustands und eines gleichgültigen Kosmos zu halten.

Die Re-Mythologisierung der Mythologie selbst ist ein Weg, in der Kurve voraus zu sein.

Mythenbildung ist Weltenerschaffung. Wenn du ein Weltenerbauer bist, bist du zu gleichen Teilen Wünschelrute und Blitzableiter. Du bist in der Lage, dich für unerwartete Musik, Poesie und Kunst zu öffnen, intuitiven Ahnungen zu folgen und in allen Bereichen des Denkens nach den ursprünglichen Zeichen zu suchen. Dein Drittes Auge öffnet sich explosionsartig.

Am allermeisten jedoch bist du in der Lage, auf dieser Teleologie (,Zielorientiertheit von Handlungen, von Entwicklungsprozessen‘) aufzubauen und zu versuchen, deine personifizierte Fibonacci-Folge (das Streben nach Endlichkeit) dem unerreichbaren Phi (Erleuchtung) immer näher zu bringen. Du bist in der Lage, das Numinose durch das ursprüngliche Medium des Geschichtenerzählens zu erklären, durch die Kunst und den Mythos.

Mythenbildung ist heilige Reichweite. Es ist ein Weg, unsere ungesunde kulturelle Geschichte mit der gesünderen kosmischen Geschichte in Einklang zu bringen. Es ist ein Weg, das Dogmatische in das Rätselhafte zu transformieren. Es hilft anderen zu erkennen, dass es stets die wahrere Vorsehung ist, verzaubert zu bleiben und unsere Ehrfurcht vor dem grossen Mysterium aufrechtzuerhalten – statt vergeblich zu versuchen, es in von Menschen gemachte Gesetze zu pressen.

Verborgen in einem Enigma:

„Wir sind schlafend. Unser Leben ist ein Traum. Doch manchmal erwachen wir, gerade genug, um zu wissen, dass wir träumen.“ ~ Ludwig Wittgenstein

Wenn, wie Maya Angelou sagte: „Ohne Mut kannst du keine andere Tugend konsequent praktizieren“, dann ist es in der Tat logisch, dass wir dem Mut gestatten, das Fundament unserer Vortrefflichkeit zu sein. Ohne den ersten Schritt des Mutes gibt es keine Freiheit. Infolgedessen kann es auch keine Vortrefflichkeit geben. Ohne Mut ist man lediglich auf das Konventionelle limitiert, durch die Launen anderer ausgebremst, in der Box des Status quo eingesperrt und durch überholte Denkweisen behindert. Ohne Mut bleibt das Dritte Auge verkalkt, hart und blind.

Die Immumination des Dritten Auges erfordert die Vernichtung des Egos, ein Zerreissen des Schleiers. Dies ist eine psychologische Zerstörung, eine schöpferische Zerstörung. Ähnlich der Weise wie eine Raupe im Kokon vernichtet und dann in Form eines Schmetterlings wieder zusammengesetzt wird, wird eine ego-zentrische Perspektive durch das Überwinden einer existentiellen Schwelle (des Schleiers) vernichtet und kommt dann in Form einer seelen-zentrierten Perspektive wieder zurück.

Anders jedoch als die Raupe, die instinktiv handelt, um ihren Kokon zu erschaffen, muss das menschliche Tier mutig handeln, um seine Kokonphase zu kreieren. Dies erfordert einen Sprung des Mutes aus dem Glauben heraus in die Seelenstärke. Drei Sprünge im Einzelnen: den Mut, das Selbst in Frage zu stellen, den Mut, das Selbst zu zerstören, und den Mut, das Selbst neu zu gebären.

Proaktiv unsere Komfortzone auszuweiten, den Schleier zu zerreissen, einen Sprung des Mutes zu wagen und hier und da kleine Veränderungen vorzunehmen, lässt uns stets unserem Schicksal voraus gehen und manifestiert das Abenteuer.

Es ist der Unterschied zwischen der Veränderung, die du in der Welt zu sehen wünschst, und der Erwartung, die Welt würde sich ohne persönliches Opfer verändern. Ersteres wird dem Letzteren immerwährend überlegen sein. Sicher, es ist riskant. Doch das ist gesunder Fortschritt doch immer. Wie Kierkegaard tiefsinnig feststellte: „Wer etwas wagt, verliert den Halt für einen Augenblick. Es nicht zu wagen, bedeutet, sich selbst zu verlieren.“

Wage es, den Schleier zu lüften. Das bedeutet, Meta zu gehen. Nimm eine distanzierte Haltung dir selbst gegenüber ein. Löse dich von dir selbst. Spiele mit Äusserlichkeiten als ob ein Jongleur mit Personas / Rollen jongliert. Werde zu vielen verschiedenen Personas. Sei ein Chamäleon – Proteusartig, anpassungsfähig, fliessend – welches die Atmosphäre um dich herum widerspiegelt. Mit solch einer flexiblen Herangehensweise an alle Erscheinungen wirst du viel von der Schwere verlieren, die die meisten Menschen herabdrückt. Du wirst zu einem Spiegel werden: das Herz des Dritten Auges.

Die Schwere zu verlieren ist der erste Schritt zu Leichtigkeit und einem guten Sinn für Humor. Mit einem leichten Herzen sind wir in der Lage, über dem Elend zu schweben. Wir werden von der direkten Erfahrung genug losgelöst, um den Zauberer hinter dem Vorhang zu enthüllen. Wir werden zur dringend benötigten Medizin – vital, ursprünglich und naturwüchsig. Wir machen die Dunkelheit heller. Wir dimmen die zu hellen Lichter. Wir heben die Last der Ernsthaftigkeit hoch, an die wir uns so sehr gewöhnt haben. Wir eröffnen alternative Wege des Menschseins in der Welt.

Eingeschlossen in einem Rätsel:

„Die menschliche Seele hat ein noch grösseres Bedürfnis nach dem Idealen als nach dem Realen. Es ist das Reale, durch das wir existieren; es ist das Ideale, durch das wir leben. ~ Victor Hugo

Das allmächtige Rätsel, in das wir eingeschlossen sind, ist das desinteressierte Universum. Das Universum ist unserer Ehrerbietung gegenüber völlig gleichgültig. Und doch haben wir keinerlei andere Wahl, als uns zu fügen. Oder doch nicht? Gibt es eine Variante, das Drehbuch zu kippen? Gibt es einen Weg, einen Sinn für Humor zu entwickeln, der so stark ist, dass er Macht über die Macht selbst erhält? Ja. Wir müssen uns den radikalen Humor der stoischen Gleichgültigkeit aneignen.

Der Stoizismus lehrt uns, wie wir die Bedingungen einer desinteressierten Realität zu akzeptieren haben und sie im Gegenzug mit unserer eigenen gleichgültigen Haltung übertreffen. Radikale Gleichgültigkeit zwingt uns zu einer Loslösung. In unserer Loslösung sehen wir, wie alles mit allem verbunden ist. Wir sehen, wie das Rätsel uns hypnotisiert hat. Wir brechen den Bann, indem wir trotz allem unser eigenes gleichgültiges Rätsel kreieren. Das ist die Macht der Sinn-Erschaffung und die Essenz von Anmut und Gelassenheit.

Wie Henry Miller sagte: „Gleichmut ist, wenn du über alle dem stehst, wenn es keine Rolle spielt, was sie denken, sagen oder wollen, sondern wenn du das tust, was du bist, und Gott und Teufel als eins betrachtest.“

Wenn du über alle dem stehst – über all den Kleinlichkeiten, dem kleinlichen Beschwichtigen, all dem Mitleid, all den co-abhängigen Erwartungen – wirst du mysteriös, ausserweltlich, heroisch. Du bist in der Lage, gordische Knoten zu lösen, Kreise zu quadrieren, Drehbücher zu kippen, den Spiess umzudrehen und die Vorstellungskraft selbst neu zu erfinden. Deine Gleichgültigkeit als Antwort auf die universelle Desinteressiertheit erschafft transzendente Interdependenz. Das Dritte Auge blitzt weit auf, blutunterlaufen und durstig, da es so lange vorgetäuscht hat, zu schlafen.

Zwischen Gleichgültigkeit und Ehrerbietung gibt es noch etwas Drittes: Imagination. Wie Nietzsche sagte: „Kein Künstler erduldet die Wirklichkeit“.

Die Imagination ist der Ort, an dem, wie Jung erahnte, „Vernunft und Verstand sich mit Unvernunft und Magie vereinigen“. Es ist ein transzendenter Zustand. Es ist der Ort, an dem Einstein auf einem Photon des Lichts ritt. Es ist der Ort, an dem Prometheus den Göttern das Feuer stahl. Es ist der Ort, an dem die Feder mächtiger ist als das Schwert.

Die Imagination neu zu erfinden ist radikale Gleichgültigkeit. Es ist kreative Selbstüberwindung. Es nimmt den Prozess über dem Fortschritt wahr. Die Fokussierung auf den Prozess hält uns geerdet. Sie lässt uns handlungsorientiert bleiben und nicht ergebnisorientiert werden. Sie bewahrt uns davor, uns selbst zu ernst zu nehmen. Sie hält uns jedoch auch zwischen den Welten. Daher bleiben wir flexibel, anpassungsfähig und losgelöst.

Wenn wir einen gleichgültigen Zustand der neu erfundenen Imagination erreichen, befinden wir uns in einem aufgeschlossenen Zustand, in dem Prozess über dem Fortschritt steht. Wir sind im Flow. Wir sind in der Zone. Wir sind wollesammelnde schwarze Schafe, die ihre Schafartigkeit überwinden. Wir sind die Verkörperung der versöhnten Gegensätze – der ultimative katalysierende Repräsentant – in dem sich Gipfel und Abgrund, Schatten und Licht, Leben und Tod vereinen.

Dadurch befreien wir unser Drittes Auge. Wir befreien uns selbst für weitere Freiheit. Wir gewinnen Wahrnehmung, die über das gewöhnliche Sehen hinausgeht.

Über den Autor: Gary ‚Z‘ McGee, ein ehemaliger Marinegeheimdienstler, der zum Philosophen wurde, er ist der Autor von Birthday Suit of God und The Looking Glass Man. Seine Arbeiten sind inspiriert von den grossen Philosophen der Zeitalter und seinem hellwachen Blick auf die moderne Welt.

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