2018-12-16

DAS ÜBERWINDEN DES HÖHLENDASEINS UND DER MATRIX


Von Gary ‘Z’ McGee auf wakingtimes.com; übersetzt von Taygeta

„Die Natur ist immerzu damit beschäftigt, absolut einzigartige Individuen zu erschaffen, während die Kultur einer Gesellschaft nur eine einzige Form ausbildet, der sich alle anpassen müssen. Das ist grotesk.“ 
~ U. G. Krishnamurti

Die Form, die eine Kultur ausbildet, entspricht der Höhle, von der Plato in seinem Höhlengleichnis spricht [wo man nur die Schatten sieht von dem, was sich in der Aussenwelt, in der eigentlichen Realität abspielt], und es ist die Matrix, die Neo überwinden musste. Es ist also die Matrix/unsere Höhle die kulturelle Form, an der wir uns so gerne festhalten. Um uns aber allmählich zu entwickeln (als Individuen und als Spezies), um aus der Höhle herauszutreten und um die Matrix zu überwinden, müssen wir bereit sein, die kulturelle Form zu durchbrechen. Das ist einfacher gesagt als getan, denn die Angst vor dem Unbekannten ist allgegenwärtig.

Das ist der Punkt, tief und ’schmutzig’: eine Seelen-Initiation erfordert eine Ego-Entwerdung. Es handelt sich nicht um eine vollständige Zerstörung des Egos, wohlgemerkt. Es ist eine kreative Zerstörung. Ähnlich wie eine Raupe im Kokon vernichtet wird und dann in Form eines Schmetterlings wieder neu entsteht, wird eine egozentrische Perspektive zerstört durch das Überschreiten einer existentiellen Schwelle und kommt dann wieder hervor in Form einer seelenzentrierten Perspektive. Aber im Gegensatz zur Raupe, die aus dem Instinkt heraus ihren Kokon erschafft, muss das menschliche Tier den Mut aufbringen, die eigene Kokonphase bewusst zu erschaffen.

Das erfordert einen mutigen Sprung. Eigentlich drei. Den Mut, sich selbst in Frage zu stellen, den Mut, sich selbst [als Ego] zu zerstören, und den Mut, sich selbst wiederzugebären. Lasst uns das aufschlüsseln.

STELLE DICH SELBST IN FRAGE

„Wer nicht in der Lage ist seine Meinung zu ändern, verändert gar nichts.“
~ George Bernard Shaw

Sowohl die Höhle als auch die Matrix sind Meta-Symbole für unbestrittene Illusionen. Ein Ego, das sich ausbildet, ohne die Fähigkeit des Hinterfragens, wird für immer uneingeweiht bleiben (gefangen in der Box seiner eigenen Illusionen), es sei denn, eine äussere Kraft – etwas Traumatisches wie ein Tod in der Familie oder eine Nahtoderfahrung – wirkt mit genügend Druck auf es ein, um es in eine Kokonphase zu versetzen.

Manchmal geben uns traumatische Ereignisse den Mut, uns selbst in Frage zu stellen, aber selten genügt das. Irgendwann werden wir noch den Mut aufbringen müssen, um zu hinterfragen, für wen wir uns halten. Je mehr wir fragen, desto mehr verschwimmen die Schatten in der Höhle und das Sonnenlicht kommt herein, umso mehr beginnt die Matrix, in die Wüste des Realen zu schmelzen. Umso mehr beginnen die Schachteln, innerhalb denen wir uns mit unserem Denken befanden, sich aufzulösen. Umso mehr werden die fragilen mentalen Paradigmen, in denen unsere Gedanken gefangen waren, sich zersplittern an der Zähigkeit unserer Skepsis. Es öffnen sich Dinge. Die Dinge werden erleuchtet. Die Vorsehung wird zur Basis dafür, die Praxis der Selbstbefragung bis in den n-ten Grad fortzusetzen.

Stellen dich also selbst in Frage, aber höre dort nicht auf. Ändere deine Paradigmen. Bringe alle deine sicheren Fundamente zum Erschüttern. Zerstöre alle veralteten Apfelkarren. Zerzause alle übermässig ernsten Federn. Vor allem, wenn du jemand bist, der sich an sichere Fundamente klammert und einen veralteten Apfelkarren herumschiebst. Der mächtigste Mutsprung, den du machen kannst ist, das Fragezeichen-Schwert aus deiner Scheide zu ziehen und die Illusion deiner Gewissheiten zu durchbrechen.

Denn darum geht es – es sind alles Illusionen, bis auf den Grund. Wie Scott Adamssagte: „Der menschliche Verstand ist ein Illusionsgenerator, kein Fenster zur Wahrheit. Das Beste, was ein Mensch tun kann ist, eine Illusion herauszupicken, die ihm hilft, den Tag zu überstehen.“ Die Höhle bringt dich durch den Tag. Die Matrix bringt dich durch den Tag. Die Infragestellung sowohl der Höhle als auch der Matrix führt dich an deiner egozentrischen Perspektive vorbei und führt dich zu den notwendigen Ressourcen, um eine echte seelenzentrierte Perspektive zu entwickeln, die den Zyklus der Selbstbefragung am Laufen hält und die Angst auf den Fersen hält, und ihr keine andere Wahl lässt, als Brennstoff zu sein für das Feuer authentischer und gesunder Veränderungen.

ZERSTÖRE DICH SELBST

„Lauf vor dem davon, was bequem ist. Vergiss die Sicherheit. Lebe dort, wo du Angst hast zu leben. Zerstöre deinen Ruf. Sei verrufen.“
~ Rumi

Dich selbst in Frage zu stellen, bringt dich nur so weit. Doch es gibt immer noch die durch die Zivilisation bestimmte Kultur, mit der man sich befassen muss, und diese Kultur ist der wichtigste Pfeiler der Höhle und der Matrix. Du bist ein Aspekt der Kultur, also musst du auch den Mut haben, deine kulturelle Haut zu hinterfragen. Das ist wahrscheinlich der beängstigendste Mutsprung, denn es liegt darin die inhärente Gefahr der Ausgrenzung als eine wahrscheinliche Möglichkeit.

Bevor du mit dem blendenden Licht ausserhalb der Höhle umgehen kannst, bevor du dem Schmerz der Wüste des Realen ausserhalb der Matrix widerstehen kannst, musst du die Zerstörung deines früheren Egos erleben. Einige nennen das den Ego-Tod. Einige nennen es die dunkle Nacht der Seele. Wir benutzen die Metapher des Kokons. Und im Inneren des Kokons findet die absolute Vernichtung des nicht eingeweihten Egos statt (des naiven, unwissenden, von aussen abhängigen Selbst), bevor die vollständigen Reanimation des Egos, die von der Seele initiiert wird, erfolgt.

Tiefe philosophische Fragen müssen gestellt werden. Zum Beispiel: Würde ich lieber den Schmerz, die ’Wüste des Realen’ kennenlernen, oder den Komfort, innerhalb der Matrix unwissend zu bleiben? Würde ich lieber mit Lügen geküsst oder durch Wahrheiten gebeutelt werden? Ist mir die Sicherheit das an die Wand gekettet zu sein lieber als das ungewisse Abenteuer, meinen Weg aus der Höhle zu finden? Die Beantwortung dieser Fragen kann ein destruktiver Prozess sein. Aber das ist in Ordnung. Denn wenn du es überlebt hast, wird die Weisheit in deinen Narben und die Erfahrung deiner wettergeprüften Seele dich noch fähiger machen, vom Sonnenlicht ausserhalb der Höhle erleuchtet zu werden und von der Härte der Wüste des Realen ausserhalb der Matrix vorwärts bewegt zu werden.


Zerstöre also jene Version von dir selbst, die sich an den Ketten festklammert. Vernichte den Aspekt von dir, der unwissend zu den Füssen der Illusion herum zankt. Zerstöre alle Throne und Altare. Besonders, wenn dich dein Stolz als Geisel genommen hat. Versetze sogar den Kniescheiben von Gott selbst einen Knock-out Schlag, wenn nötig. Wie Dostojewski tiefsinnig meinte: „Der Mensch hat Gott einfach erfunden, um sich nicht umzubringen zu müssen. Das ist die Summe der universellen Geschichte bis zu diesem Moment.“ In der Tat. Also zerstöre den imaginären Gott. Und dann erfinde Gott neu. Es geht sowieso nur um dich. Sei der Phönix, der aus der Asche steigt, koste die Asche aus und stelle dann eine stärkere, robustere Version von dir selbst auf, die bereit ist, sich an die Wechselfälle des Lebens anzupassen und sie zu überwinden.
ERFAHRE DIE WIEDERGEBURT DEINES SELBST

„Die Idee einer zweiten Geburt kann man zu jeder Zeit und an jedem Ort finden.“
~ C. G. Jung

Die Einweihung der Seele erfahren bedeutet von der Wahrheit erhellt werden. Es bedeutet, das authentische Sonnenlicht zu sehen. Es bedeutet auch, die Härte der Wüste des Realen wirklich zu spüren. Es ist die Fähigkeit, uns selbst wiederzugebären, zyklisch, immer wieder. Was ist die Wahrheit? Die Wahrheit ist, dass wir vorher von der Angst gefangen waren und uns unserer Illusionen nicht bewusst waren, während wir dann, nach den kosmischen Qualen unserer Wiedergeburt, frei sind, unsere Illusionen in Frage zu stellen und damit vor der Angst zu stehen. Wir können auf unseren Weg zurückblicken und sehen, wie sich unsere Ko-Abhängigkeit (von der Höhle/der Matrix) in Unabhängigkeit (in der Kokonphase) auflöste, welche sich dann (durch die Wiedergeburt) in eine Interdependenz [= wechselseitige Abhängigkeit] auflöste. Und jetzt sind wir bereit, uns über unsere Illusionen zu erheben (die Transzendenz erfahrend).

Die Illusionen sind natürlich immer noch da, denn Illusionen werden immer da sein. Illusionen sind eine Überlebensstrategie für ein Geschöpf, das weiss, dass es weiss, dass es sterben wird, das sich sowohl mit der Kleinheit des [irdischen] Lebens in einem unergründlich grossen Universum auseinandersetzen muss, als auch mit der Endlichkeit, mit dem Wissen, ein sterbliches Geschöpf zu sein, dazu bestimmt zu sein zu sterben, obwohl es die Unendlichkeit in seinem Herzen hält. Wie Berdyaev vermutete: „Der [physische] Mensch ist ein endliches, begrenztes Wesen, aber er trägt die Unendlichkeit in sich, und er verlangt die Unendlichkeit als Ende.“

Aber wir sind dann zumindest nicht mehr die Sklaven unserer Illusionen. Wir sind keine Sklaven der Angst mehr. Wir haben die transzendente Fähigkeit erworben, unsere Illusionen in Frage zu stellen und unsere Ängste herauszufordern. Wir haben uns das geistige Rüstzeug verdient, um flexibel und robust gegen die der Realität scheinbar innewohnende Sinnlosigkeit zu sein. Wir haben die existentielle Fähigkeit erworben, diese Unendlichkeit in unserem Herzen anzunehmen und sie der Bedeutungslosigkeit des Universums entgegenzuhalten und trotz allem für sinnvoll zu erklären.

Ja gut. Halte deine Götter hoch. Sonne dich in deinen Illusionen. Aber dann habe den Mut, den Geschmack der Höhle oder die Essenz der Matrix in Frage zu stellen, von der du dir vorstellen kannst, dass du darin steckst. Sei einfach sicher, dass du deinen Gott niederreissen wirst. Töte dein abhängiges niedriges Selbst, damit dein unabhängiges Selbst mit grosser Kühnheit auftauchen kann und zu deinem interdependentes Selbst werden wird, das die Kraft hat, alle Ängste und Illusionen zu überwinden. Bauen, zerstören, wieder aufbauen, wieder zerstören. Bleibe nicht zu lange im veralteten Komfort einer Höhle oder Matrix. Spüre die existentielle Absurdität davon. Seele zum Mark. Von Herz zu Knochen. Und dann lache. Erhebe dich darüber hinaus. Zerstöre dein niederes Selbst und hebe dein wahres Selbst in die Unendlichkeit.


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