Langes Chaos: Die Umpolung des Erdmagnetfelds verläuft offenbar langsamer und erratischer als bisher gedacht – das könnte auch für eine zukünftige Polumkehr gelten. Denn neue Daten sprechen dafür, dass die letzte Umpolung vor rund 770.000 Jahren sogar mehr als 22.000 Jahre dauerte. In dieser Zeit schwächte sich das Magnetfeld mehrfach drastisch ab, verschob seine Pole und kehrte sich erst dann komplett um, wie Forscher im Fachmagazin „Science Advances“ berichten.
Das Magnetfeld der Erde ist weniger stabil als man denkt: Schon mehrfach in der Erdgeschichte hat sich seine Polung komplett umgekehrt, zuletzt vor rund 770.000 Jahren. Inzwischen gibt es Anzeichen dafür, dass erneut eine Umpolung bevorstehen könnte. So hat sich das Magnetfeld abgeschwächt, seine Achse hat sich verschoben und eine ausgedehnte magnetische Anomalie ist unter dem Südpazifik entstanden. Zudem wandert der magnetische Nordpol heute schneller als erwartet.
Umklappen oder Einpendeln?
Doch ob diese Symptome tatsächlich die Vorboten einer Polumkehr sind oder nur Hinweise auf eine vorübergehende Schwächephase, ist strittig. Ebenso umstritten ist die Frage, wie schnell eine Umpolung abläuft. DEnn im Jahr 2014 haben Forscher Indizien für einen überraschend rapiden Verlaufder letzten Polumkehr gefunden – sie könnte demnach innerhalb von nur 100 Jahren passiert sein. Das aber würde bedeuten, dass sich der Polwechsel sogar innerhalb der Lebenszeit eines Menschen vollziehen kann – und dass möglicherweise nur wenig Zeit für Vorwarnung oder Anpassungen bleibt.
Allerdings setzt dies voraus, dass sich die Geophysiker über den zeitlichen Verlauf der Umpolungen sicher sind. Genau das aber ist nicht der Fall, denn es gibt auch Studien, nach denen die Umkehr eher Jahrtausende dauert. „Trotz Jahrzehnten der Forschung sind die geometrische Struktur, das Timing und die Dauer der Polumkehr noch immer rätselhaft“, sagen Brad Singer von der University of Wisconsin-Madison und sein Team.
Lavaproben als Zeitzeugen
Um mehr Klarheit zu schaffen, haben die Forscher nun weitere Daten zur letzten Umpolung und ihrem Zeitablauf gesammelt und untersucht. Dafür analysierten sie neben Sediment- und Eisbohrkernen vor allem Lavaproben aus Chile, Tahiti, Hawaii, der Karibik und den Kanaren. Sie stammen von Vulkanausbrüchen, die sich etwa um die Zeit vor 700.000 bis 800.000 Jahren ereignet haben.
„Lavaströme sind ideale Zeitzeugen für das Magnetfeld“, erklärt Singer. „Denn sie enthalten viele eisenhaltige Minerale und wenn diese erkalten, konservieren sie Richtung und Stärke des gerade herrschenden Magnetfelds.“ Auf Basis solcher Daten lässt sich daher besonders gut nachvollziehen, wie sich das Erdmagnetfeld während einer Umpolung verändert. Für ihre Studie datierten die Forscher ihre 40 Lavaproben mithilfe der enthaltenen Argon-Isotope und ermittelten die Magnetisierung.
22.000 Jahre für eine Polumkehr
Das Ergebnis: Die letzte Polumkehr war kein einfaches, rapides Umklappen, sondern zog sich über mehr als 22.000 Jahre hin. Dabei ging der eigentlichen Umpolung eine ausgedehnte Phase der Instabilität voraus, die bereits vor 795.000 Jahren begann. In dieser Zeit schwächte sich das Magnetfeld mehrfach stark ab und es gab sogar zwei kurzzeitige Exkursionen – Phasen, in denen die Polung verschwand oder sich stark verschob.
Erst nach dieser Vorphase folgte der endgültige Polwechsel. „Der eigentliche Umpolungsprozess begann vor 784.000 Jahren und mündete in der finalen Polumkehr vor 773.000 Jahren“, berichten Singer und sein Team. Selbst diese Endphase des Umkippens dauerte jedoch mindestens 4.000 Jahre. Einen ähnlich langen Verlauf ergab auch eine begleitende Geodynamo-Simulation, mit der die Forscher die Plausibilität ihrer Ergebnisse überprüften.
Was bedeutet dies für die Prognosen?
Nach Ansicht der Wissenschaftler sprechen ihre Resultate dafür, dass die Umpolung des Erdmagnetfelds kein abrupter, sondern ein langwieriger und komplexer Prozess ist. „Die Integration der Lava-, Sediment- und Eisbohrkerndaten enthüllt die außerordentliche Komplexität in der Entwicklung des Magnetfelds vor und während der letzten Polumkehr“, so die Forscher. Die neuen Daten sind zudem eines der bisher detailliertesten Zeugnisse der letzten Umpolung.
Was aber bedeutet dies für die möglicherweise bevorstehende Polumkehr? Die neuen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass eine klare Prognose der künftigen Entwicklung noch schwerer sein könnte als gedacht. Denn die Magnetturbulenzen vor einer solchen Polumkehr machen es noch schwerer, vorübergehende Schwankungen von echten Vorboten zu unterscheiden. Ob uns demnach tatsächlich in absehbarer Zukunft eine Umpolung des Erdmagnetfelds bevorsteht, bleibt weiterhin offen. (Science Advances, 2019; doi: 10.1126/sciadv.aaw4621)
Quelle: University of Wisconsin-Madison8. August 2019
- Nadja Podbregar
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