2019-08-06

Baba Yaga – Russische, osteuropäische und slawische Urgöttin, die Leben und Tod verkörpert


Bekannt ist Baba Yaga als mythologische Figur in ihrer Hühnerbein-Hütte tief im Wald, die den Frauen, die zu ihr kommen, nahezu unlösbare Aufgaben stellt.

Die Prüfende

Bekannt ist Baba Yaga als mythologische Figur in ihrer Hühnerbein-Hütte tief im Wald, die den Frauen, die zu ihr kommen, nahezu unlösbare Aufgaben stellt.

Oft wird Baba Yaga nur in ihrem Furcht erregenden Aspekt dargestellt und beschrieben. Sie lebt ein zurückgezogenes Leben im Waldesdickicht in ihrem Häuschen, das sich auf einem Hühnerbein dreht. Ihr Gartenzaun besteht aus Hühnerknochen, in einigen Versionen der Erzählung soll er gar mit Menschenköpfen gespickt sein.


Oft wird das Häuschen auf Hühnerbeinen als Hütte ohne Eingang beschrieben. Es dreht sich nur bei einem bestimmten Codewort um und hat dann eine Eingangstür. Manchmal heißt es sogar, dass ihre Hütte auf den Beinen laufen kann und sie damit die sterbenden Menschen verfolgt und schließlich zu sich holt.

Reitet auf eisernem Ofen oder Mörser

Selten unternimmt Baba Yaga Ausflüge. Dabei reitet sie entweder auf einem eisernen Ofen, der auf Hühnerbeinen läuft oder fliegt auf einem Mörser, den sie mit dem Mörserstössel lenkt. Immer verwischt sie ihre Spuren mit einem Besen, damit niemand weiß, woher sie kommt und wohin sie fliegt. Baba Yaga trägt den Beinamen Kostianaja Noga d.h. „knöcherne Beine“.

Der Gebrauch des Besens und des Mörsers sowie ihr eigenartiges Hühnerbein-Haus weisen darauf hin, dass sie früher eine Totengöttin war, die die Toten in die Nachwelt begleitet hat. Die SlawInnen haben zur Bestattung ihrer Toten rundherum türlose Hütten auf hühnerbein-ähnliche Stelzen errichtet und auch Besen bei dem Bestattungsritual verwendet. Mag uns die Verfolgung von Sterbenden durch Baba Yaga im ersten Moment erschreckend und grausam erscheinen, so hat diese Vorstellung bei näherer Betrachtung etwas sehr tröstliches.

Die Göttin geleitet Sterbende sicher und sanft in ihr „letztes Haus“, dessen Form nicht von ungefähr einer Gebärmutter ähnelt. Man erzählt über sie, dass alle, die sich ihrem Anwesen nähern, so erschrecken, dass sie das Weite suchen, nicht zuletzt, da von ihr die Mär umgeht, dass sie kleine Kinder fressen soll (vgl. die Hexe in „Hänsel und Gretel„). Auch das hat seine Berechtigung. All jene, deren Zeit noch nicht gekommen ist, haben in diesem Totenhaus auch nichts verloren.
Ratschläge, Geschenke und schwierige Aufgaben.

Neben dieser fast dämonischen Erscheinung tritt Baba Yaga auch als helfende Gestalt auf, die gute Ratschläge erteilt oder kostbare Geschenke macht. Wer sich ihr beherzt stellt, soll reich belohnt werden. Jene, die furchtlos genug sind, um sich ihr zu nähern, soll sie aber ganz schwierige Aufgabenstellen (vgl. Frau Holle, die auch Aufgaben stellt). Erfüllt man diese Aufgaben zu ihrer Zufriedenheit (und sie hat da ganz eigene Maßstäbe), erhält man Geschenke, die vorerst wertlos und schlecht erscheinen.

Aber gerade das Schlechte, Schlichte, Schwache, scheinbar Wertlose, das sie schenkt, bringt das große Glück. Vorsicht ist geboten, wenn Baba Yaga Wertvolles, Glänzendes, Schillerndes schenkt. Wer sich blenden lässt und von ihr wertvolle Geschenke annimmt, wird von ihr verhöhnt und steht am Ende mit leeren Händen da. (In dem Sinn wird auch das Märchen von Frau Holle und der Gold- und Pechmarie oft falsch verstanden.

Die Goldmarie erlangt die ersehnte Mutterliebe auch nicht, als sie mit Gold überschüttet heimkommt. Die Pechmarie wird daheim von ihrer Mutter wieder freudig aufgenommen und hat es sich bei der „Großen Mutter“ richtig gut gehen lassen.

Anm.: Göttinnen haben es meist gar nicht so gerne, dass Frauen sich überarbeiten und segnen lieber jene, die das Leben genießen.)

Drei Rösser und zwei Schwestern

Baba Yaga hat drei Rösser: ein rotes für den Sonnenaufgang, ein weißes für den Tag und ein schwarzes für die Nacht. Sie nennt diese „Meine helle Morgendämmerung“, „Meine rote Sonne“ und „Meine dunkle Mitternacht“, weil sie diese Phasen des Tages kontrollieren. Dies weist auf den dreifaltigen Aspekt der Göttin hin.

In manchen Erzählungen lebt Baba Yaga mit zwei Schwestern, die den gleichen Namen tragen, zusammen. Gemeinsam bilden sie also die komplette Göttin: Jungfrau, Mutter und weise Alte.

Stirbt eine der Schwestern durch das Schwert oder durch Feuer, so besprenkeln die anderen beiden sie mit dem „Wasser des Todes“. Dadurch heilen ihre Wunden. Wenn sie anschließend mit dem „Wasser des Lebens“ besprenkelt wird, steht sie von den Toten wieder auf. Baba Yaga wird deshalb auch oft als Hüterin der Wasser des Lebens und des Todes bezeichnet.

Wildheit und Unabhängigkeit

Meist wird Baba Yaga jedoch mit dem schwarzen Aspekt also den Lebensphasen Menopause, Alter und Tod zuweilen auch als Verkörperung des Winters assoziiert. Dies vielleicht auch deshalb, weil einer der wichtigsten Eigenschaften dieser Göttin Wildheit und Unabhängigkeit ist. Etwas, das Frauen oft erst im dritten Lebensabschnitt verwirklichen.

Baba Yaga als Inbegriff der „Schwarzen Göttin“ steht für Frauen, die unabhängig von den Wünschen und Sehnsüchten der Jugend und des Menschen auf der Höhe seiner physischen Kraft sind. Sie haben den Überblick und wissen die Dinge einzuordnen und im Hinblick auf die Zukunft zu bewerten. Oft haben sie damit nicht nur Weisheit sondern auch die Gabe des „Wahren Sagens“ und „Hellen Sehens“.

Verwandlung und Transformation

Sie erinnert die Menschen daran, dass ihr Leben, ihre Wünsche und Vorstellungen vergänglich sind und sie davon loslassen müssen, um in einen neuen Seinszustand eintreten zu können. Deshalb tritt Baba Yaga immer dann in Erscheinung, wenn es um Übergänge geht, den Tod oder Entwicklungs- und Identitätskrisen, Veränderung, schicksalhafte Ereignisse und Erschütterungen im Leben.

Begeben sich Menschen in diesem Moment unter die Leitung von Baba Yaga, so kann durch eine Verwandlung oder Transformation ein völlig neuer und erweiterter Seinszustand eintreten. Diejenigen aber, die ihre Macht und Weisheit nicht huldigen, wird Baba Yaga wie ein Schrecken verfolgen und ihnen am Ende alles nehmen, was sie zu besitzen vermeinten. So wird ihr nachgesagt, dass sie Menschen zerstören oder erleuchten kann. Doch es ist immer der einzelne Mensch, der die Entscheidung für sich trifft.


Haust in der letzten Garbe des geernteten Getreide

Vielfach wird Baba Yaga auch die „Alte Frau des Herbstes“ genannt. Man glaubt, dass sie in der letzten Garbe des geernteten Getreides haust. Eine andere Variante des Mythos besagt, dass sie in dem letzten Getreidekorn der eingebrachten Ernte lebt und jene Frau, die dieses und damit Baba Yaga isst, im Frühling ein Kind bekommen würde. Sie ist damit ein Sinnbild für die Lebenskraft, wie sie das geerntete Korn in sich trägt.

Der herbstliche Tod auf dem Kornfeld führt zur Wiedergeburt im nächsten Frühjahr. Interessant ist auch der Mörser, auf dem Baba Yaga reiten und mit dessen Stössel sie rudern soll. Ein Mörser ist ein außergewöhnlich harter Kessel, in dem Nüsse, Korn und anderes zermahlen werden. Mit ihrer wilden und rauen, alles durchdringenden Art trennt Baba Yaga die Spreu vom Weizen, machte alles Überflüssige dem Erdboden gleich.

Spirituelle Begleitung aus tiefer Lebenserfahrung

Das Christentum begann im Mittelalter die heidnischen Sagen abzuwerten, so unter anderem auch die mythische Gestalt der Baba Yaga.

Heilkundige Frauen und Göttinnen auf die sich Menschen beziehen, von denen sie Rat holen, mit deren Hilfe sie Rituale wie z.B. Bestattungen vollziehen, waren natürlich für die christliche Kirche eine große Konkurrenz.

Frauen, die als Hexen verteufelt wurden (und werden), sind Menschen, die tiefgreifend mit ihrem eigenen Selbst, mit anderen Menschen und der Erde verbunden sind. Leidenschaft, Lebenslust und Lachen sind ihre Medizin. Sie wehren sich gegen alles, was sie von der Fülle des Lebens abschneidet. Ihre Ratschläge und ihre spirituelle Begleitung kommen aus tiefer Lebenserfahrung und ihren lebensbejahenden Gefühlen.

Prototyp der Hexe

All das konnte die christliche Inquisition (und können noch immer viele Vertreter der patriarchalen Gesellschaft) nicht aushalten. So wurde aus der machtvollen, klugen alten Frau eine böse, unheimliche Gestalt, die mit dem Teufel im Bunde steht. Teilweise wird sie sogar als die Großmutter des Teufels bezeichnet.

Baba Yaga wird damit zum Prototyp der Hexe, wie sie in vielen Märchen vorkommt. Paradoxer Weise hat sie mit diesem Image über die Jahrhunderte gut überlebt und ist damit eine der lebendigsten Göttinnen. Wer weiß, ob sie ohne die Verbannung in die Gruselgeschichten und Märchenbücher so vital überlebt hätte.

Wenn man Märchen unvoreingenommen liest, wird man entdecken, dass die Hexe – der Schatten – immer der Auslöser für Veränderung ist. Ohne sie gäbe es kein Happy End.
Einladung an die weibliche Urkraft in ihrer ganzen Wildheit.

Baba Yaga ist zwar nicht die „böse Hexe“, wie sie im (Märchen-)buche steht, die nur Böses will und kleine Kinder frisst. Mit der Kraft von Baba Yaga ist dennoch nicht zu scherzen. Wenn Frauen diese Göttin rufen, muss ihnen klar sein, dass sie sich eine große Portion weiblicher Urkraft in ihrer ganzen Wildheit, Unabhängigkeit und Kompromisslosigkeit einladen.

Mit dieser Kraft macht man allerdings keinen Frühlingsspaziergang. Baba Yaga prüft und stellt schwierige Aufgaben. Sie fragt Frauen, was sie aus ihrem Leben bisher gemacht haben. Sie bohrt weiter und erforscht, was sie bedauern würden, nicht er- und gelebt zu haben, sollte nun die Stunde ihres Todes sein. Sie fordert Frauen auf, sich von anderen Menschen, gesellschaftlichen Konventionen und Urteilen unabhängig zu machen und ihr weibliches Urwissen zu erspüren und ihre Urinstinkte einzusetzen.

Dies fällt erfahrungsgemäß im Großstadtdschungel schwerer als in der Natur. Um der Kraft von Baba Yaga zu begegnen, wirkt z.B. eine Nacht im Wald oft Wunder. Hier können wirklich neue Sichtweisen entstehen (besonders bei eingefahrenen Situationen und Gedankengängen), hier können Frauen Abgestorbenes und nicht mehr Aktuelles loslassen (und auch gleich rituell vergraben).

Jeder Mondstrahl durch Baumkronen, jedes Rascheln im Unterholz, jeder Käuzchenruf, jede Berührung der nackten Fußsohlen mit weichem Moos erweckt die „Wilde Frau“ in einer jeden, die von Baba Yaga beschenkt werden möchte.

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