Tokyo (Japan) – Zum ersten Mal ist es Wissenschaftlern gelungen, den biologischen Magnetsinn als unbeeinflusste Zellreaktion auf ein Magnetfeld in Echtzeit zu beobachten und zu dokumentieren. Die Forschenden sprechen von einem wichtigen Schritt für ein Verständnis darüber, wie zahlreiche Tierarten mit Hilfe des Erdmagnetfeldes navigieren. Die Beobachtungen liefern aber auch Erkenntnisse darüber, wie sich selbst schwache elektromagnetische Felder in unserer Umgebung auch auf die menschliche Gesundheit auswirken könnten.
„Es ist schon erstaunlich, wie wir in unseren Experimenten jene Verbindung sichtbar machen können, die sich ergibt, wenn sich zwei individuelle Elektronen sich auf Biologie auswirken“, erläutert Professor Jonathan Woodward von der University of Tokyo, der die Untersuchungen gemeinsam mit seinem Doktoranden Noboru Ikeya durchgeführt und das Ergebnis aktuell im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America” (PNAS; DOI: 10.1073/pnas.2018043118) veröffentlicht hat.
Hintergrund
– Da Magneten Elektronen an- und abstoßen können, vermuten einige Forschende schon seit den 1970er-Jahren, dass auch das irdische Magnetfeld das Verhalten von Tieren dadurch beeinflussen kann, in dem dieses geomagnetische Feld chemische Reaktionen im Körper beeinflusst. Tatsächlich können Moleküle durch Licht derart angeregt werden, dass sein Elektron von einem auf ein anderes Molekül überspringen kann und so zwei Moleküle mit jeweils einem einzelnen Elektron ein sogenanntes Radikalpaar, erzeugen. Einzelne Elektronen können in nur jeweils einem von zwei möglichen sogenannten Spin- bzw. Rotationszuständen existieren. Haben beide Radikale eines Radikalpaares den gleichen Elektronenspin, so sind die damit verbundenen chemischen Reaktionen eher langsam, während Radikalpaare mit gegenläufigen Elektronenspins zu schnelleren Reaktionen führen können. Magnetische Felder können nun die Rotationszustände und damit auch die mit Radikalpaaren einhergehenden chemischen Reaktionen beeinflussen.
– In den vergangenen 50 Jahren haben Chemiker zahlreiche chemische Reaktionen und spezifische Proteine (sog. Cryptochrome) beschrieben, die in Laborexperimenten sensibel auf Magnetfelder reagieren.
– Biologen haben sogar beobachtet, wie solche Cryptochrome genetische Störungen bei Fruchtfliegen und Kakerlaken hervorrufen können, indem sie die Fähigkeit der Insekten zur Navigation mit Hilfe des irdischen Magnetfeldes ausschalten.
– Andere frühere Studien legen zudem nahe, dass Vögel und andere mittels Magnetsinn navigierende Tiere oft lichtsensibel sind.
Bislang war es Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aber noch nicht gelungen, solche chemische Reaktionen im Innern lebender Zellen als direkte Reaktionen auch magnetische Felder zu messen, zu beobachten und abzubilden.
Wie Woodward und Ikeya nun berichten, haben sie Ihre Versuche an menschlichen Gebärmutterhalskrebszellen (sog. HeLa-Zellen) durchgeführt, die oft im Labor verwendet werden. Besonders interessierten sich die Wissenschaftler für die darin beinhalteten Falvin-Moleküle und somit für eine Unterordnung von Cryptochromen die häufig vorkommen, als gut erforscht gelten, dafür bekannt sind natürlich zu fluoreszieren oder Radikalpaare zu erzeugen und in der Biologie als wichtige lichtsensible Moleküle bekannt sind.
„Werden diese Falvine durch licht angeregt, so können die entweder fluoreszieren, also natürlich aufleuchten oder Radikalpaare bilden“, erläutert Woodward. „Dieser Wettbewerb bedeutet, dass die Menge der Fluoreszenz davon abhängt, wie schnell die Radikalpaare reagieren.“ Von ihren Experimenten erhoffte sich das Team um Woodward und Ikeya, biologische Magnetrezeption, also den biologischen Magnetsinn durch Einsatz künstlicher Magnetfelder auf die Zellumgebung (Natufluoreszenz) beobachten zu können.
Zunächst bestrahlten die Forscher die Zellen mit blauem Licht, woraufhin diese für rund 40 Sekunden fluoreszierten. Dann führten sie all vier Sekunden ein Magnetfeld über die Zellen und bestimmten dabei die sich verändernde Stärke der Fluoreszenz.
Eine statistische Auswertung der Messdaten offenbarte dann, dass sich die Fluoreszenz der Zellen unter dem Einfluss des Magnetfeldes um jeweils 3,5% abschwächte (siehe Video). Die Forscher vermuten, dass das blaue Licht die Falvin-Moleküle zur Erzeugung von Radikalpaaren anregt, und das das Magnetfeld weitere Radikalpaare mit den gleichen Elektronenspins hervorrief, auf diese Weise weniger Falvin-Moleküle zur Erzeugung von Licht zur Verfügung standen und deshalb die Fluoreszenz dann wieder zunahm, als das Magnetfeld entfernt wurde.
„In unserem Experiment haben wir den Zellen nichts hinzugefügt oder etwas an ihnen verändert”, unterstreichen Ikeya und Woodward und führen dazu weiter aus: „Wir glauben, dass wir auf diese Weise extrem starke Beweise dafür liefern können, dass wir hier einen rein quantenmechanischen Prozess beobachten, der sich auf chemische Aktivität auf der Zellebene auswirkt.“
Das in den Experimenten verwende Magnetfeld war 25 Millitesla stark, was in etwa der Stärke eines Kühlschrankmagneten entspricht. Das magnetische Feld der Erde hingegen variiert von Ort zu Ort, ist aber durchschnittlich etwa 50 Mikrotesla stark und damit 500-mal schwächer als das in der Studie verwendete Feld.
Woodward stellt aber dennoch fest, dass auch das schwache Erdmagnetfeld immer noch einen biologisch wichtigen Einfluss haben könnte und verweist auf ein als „low field effect“ bezeichnetes Phänomen: „Obwohl starke Magnetfelder den Sprung zwischen den Zuständen von Radikalpaaren erschweren, wenn die beiden Elektronenspins beispielsweise gleich und dann ungleich sind, so können schwache Magnetfelder doch den gegenteiligen Effekt haben und diesen Wechsel im Vergleich dazu erleichtern, als wenn überhaupt kein Magnetfeld wirkt.“
Die beiden Autoren wollen nun die Wirkung auch auf andere Zelltypen und damit die mögliche Rolle der beobachteten Auswirkung auf die Zellgesundheit und -Umgebung untersuchen und dabei auch noch schwächere Magnetfelder (mit denen wir uns durch den unbedachten Einsatz elektronischer Geräte, wie Computer und Mobilfunkgeräte umgeben und auf Grenzwerte vertrauen) und noch genauere Methoden der Zellanalyse einsetzten.
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