… und erneut erschaffen müssen
geschrieben von Gary Z McGee, Mitautor, Waking Times, übersetzt von Antares
„Wenn Gott nicht existieren würde, wäre es notwendig, ihn zu erfinden.“ ~ Voltaire
Der Glaube an Gott ist eine lustige Sache. Als Spezies sind wir zwischen Tausenden von verschiedenen Versionen hin- und hergerissen. Als Individuen werden wir von dem Gott beeinflusst, den unsere Vorfahren an uns weitergegeben haben (falls denn überhaupt irgendetwas darüber gesagt wurde und wir nicht ganz ,ohne Gott’ aufgewachsen sind …). Darüberhinaus wurden wir indoktriniert, diesen Gott niemals in Frage zu stellen, aus Angst vor Blasphemie, klammern wir uns aufgrund des religiösen Drucks starr an jenen Gott, mit dem wir aufgewachsen sind.
Wenn es jedoch darauf ankommt, hat jeder Einzelne von uns eine andere psychophysiologische Interpretation von Gott. Keine zwei Christen werden die gleiche Interpretation haben. Keine zwei Muslime werden dieselbe Interpretation haben. Genauso wie keine zwei Säkularisten die gleiche Interpretation haben werden. Wir alle haben einzigartige Perspektiven. Wir mögen sie uns ruhig zu eigen machen. Oder, besser noch, sie ehren.
Wie dem auch sei, Gott und die Schöpfung Gottes ist ein wesentlicher Aspekt dessen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Ob nun die Menschen Gott erschaffen haben oder Gott die Menschen, ob das Huhn vor dem Ei da war oder das Ei vor dem Huhn – es lässt sich nicht leugnen, es scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein, zumindest zu versuchen, der überwältigenden, scheinbar unendlichen, unsinnigen, absurden und bedeutungslosen Realität, die uns umgibt, einen Sinn zu geben. Die Schöpfung Gottes ist dieser (vielleicht vergebliche) Versuch.
Hier sind sieben Gründe, weswegen wir Gott erschaffen und neu erschaffen müssen …
1.) Sterblichkeit:
„Gott ist tot! Er bleibt tot! Und wir haben ihn getötet.“ ~ Nietzsche
Ah, der Tod. Das ultimative Finale. Das vollkommene Nichts. Das Imperium der Entropie. Er drängt sich in unser flüchtiges Leben hinein. Er zwingt unseren Kopf über die Kante und hält unsere Augenlider offen, während wir in den Abgrund eines vergänglichen und endlichen Lebens blicken.
Am Ende ist der Tod vielleicht der einzige Gott, den wir jemals wirklich kennen werden. Doch wir sind eine hartnäckig eitle und phantasievolle Spezies, und so können wir nicht anders, als „Technologien der Ekstase“ zu schaffen, die uns helfen, den Tod zu transzendieren. Wie Nietzsche so treffend sagte: „Kein Künstler duldet die Wirklichkeit.“
Und so erschaffen wir Gott, die ultimative Technologie. Das absolute Etwas, das wir einführen, um das absolute Nichts des Todes zu übertrumpfen.
Technologie gehört zum Menschsein wie das Netz zur Spinne. Gott ist unser ultimatives Netz, das alles einfangende unendliche Ding. Unser sterbliches Wirrwarr ist einfach zu schwer zu ertragen, daher packen wir es und schieben es nach oben in den Heiligenschein. Wie könnten wir auch nicht? Was kann denn sonst von einer Spezies erwartet werden, die zwischen Geist und Fleisch hin- und hergerissen ist, zwischen eitler Unsterblichkeit und erdrückender Sterblichkeit, zwischen erdgebundenem Wurmdasein und himmelsgebundenem Gottsein? Wie können wir nicht gleichzeitig unsere Füsse aufstellen und mit den Flügeln flattern?
Und … so tun wir es. Trotz jedweder Widersprüche. Trotz Ironie und Fehlbarkeit und Heuchelei. Trotz Paradoxie. Zur Hölle! Wir sind paradox. Wir könnten das uns genauso gut zu eigen machen und dann Gott daraus erschaffen.
2.) Unendlichkeit:
„Ist der Mensch lediglich ein Irrtum Gottes, oder ist Gott eher ein Irrtum des Menschen?“ ~ Nietzsche
Nichts ist so zwergenhaft wie die Unendlichkeit. Als Menschen sind wir das einzige Tier, das erkennt, es ist ein Fleck in einem mächtigen Kosmos. Wir verstehen, wir sind eine Eintagsfliege in einem uralten Universum. Wir wissen, dass wir nichts wissen. Wir können die Tatsache begreifen, dass wir niemals die Komplexität einer atemberaubend ausgedehnten Realität vollständig erfassen werden. Und daher schrecken wir zurück.
Und aus diesem Zögern heraus, erschaffen wir Gott. Wir drehen das Drehbuch um. Wir machen Gott zur Unendlichkeit und die Unendlichkeit zu Gott. Unsere Schöpfung erschuf uns nach unserem eigenen Ebenbild, und plötzlich sind wir gar nicht mehr so klein. Wir sind der Kosmos, und der Kosmos ist wir. Wir sind nicht länger nur Flecken im Universum. Wir sind das ganze Universum in einem Fleck.
Hätte es auch anders in anderer Weise sein können? So eigensinnig wie wir sind? So phantasievoll und kreativ wie wir sind? So eitel, wie wir sind? Unsere Vorstellungskraft ist zu reif, und das Universum ist zu gross für uns, als dass wir nicht eine Technologie erschaffen hätten, um das Ganze einen Sinn ergeben zu lassen, um unsere Todesangst und all unsere Unsicherheit zu lindern, weil wir so zerbrechliche, winzige Kreaturen in einem ewigen und feindlichen Universum sind.
Es war unausweichlich, dass wir Gott aus der Unendlichkeit heraus erschaffen. Jetzt müssen wir als spirituelle Sucher und Wahrheitssuchende nur noch das unendliche Herz Gottes bewahren, trotz der religiösen Versuche, es in endliche Texte und begrenzte dogmatische Glaubensstrukturen zu pressen.
3.) Neugierde:
„Das Heilmittel für die Menschen ist es, die Untersuchung über der Behauptung respektieren. Vollständige, nüchterne, objektive Untersuchung ist der einzige Weg nach vorn.“
Wir sind eine neugierige Spezies. Es war unsere Neigung zur tiefgründigen und phantasievollen Untersuchung, die unsere Vorfahren voran trieb, um die dominierende Kraft auf dem Planeten zu werden. In ähnlicher Weise war es die Neugierde, die zur Erschaffung Gottes führte. Traurigerweise ist es „Gewissheit“, die diesen erschaffenen Gott in der veralteten Suppe der Religion stagnieren lässt.
Gewissheit ist antithetisch zur Neugier. Gewissheit tötet die Neugier, die wiederum die Kreativität tötet. Und plötzlich sind wir ohne die Werkzeuge zurückgelassen, jene, um Gott zu erschaffen oder neu zu erschaffen. Stattdessen verrottet Gott. Oder schlimmer – Gott stirbt. Was gut ist, solange du noch die Werkzeuge hast, um einen besseren Gott zu bauen. Neugierde ist dieses Werkzeug. Solange die Neugier die Gewissheit übertrumpft, werden wir weiterhin in der Lage sein, Gott zu erschaffen und Gott neu zu erschaffen.
Weswegen ist Neugierde so machtvoll? Weil sie sowohl ein proaktives Engagement wie auch eine spielerische Präsenz ist. Wahre Neugier ist tief, ursprünglich, absorbierend, phantasievoll und gierig nach Wissen / Technologie auf dem neusten Stand, die das Potenzial hat, veraltetes Wissen / Technologie zur Ruhe zu bringen.
Neugierde ist der ultimative psychosoziale Ausgleichsmechanismus. Sie zwingt unsere Gedanken, nach ausserhalb der Box zu gehen, dehnt unsere Komfortzone aus, erschüttert festgefahrene mentale Paradigmen und verschiebt die Grenzen aller Dinge, die wir für selbstverständlich gehalten haben.
Die Neugier steht nahe am aufgehenden Morgen, lacht in den Abgrund, verspottet die engstirnige Perspektive unserer beschränkten Vergangenheit und starrt mit Überraschung und wildem Erstaunen in das Mysterium tremendum (griech.-lat. „Geheimnis, das Furcht und Zittern auslöst“) des gegenwärtigen Augenblicks. Wie könnte Gott nicht plötzlich aufkreuzen?
4.) Die Wahrscheinlichkeit:
„Wer grosse Gedanken denkt, macht oftmals grosse Fehler.“ ~ Martin Heidegger
Auf einer ausreichend langen Zeitlinie ist alles möglich. Innerhalb der relativ kleinen Zeitlinien jedoch, mit denen wir die Realität wahrnehmen, ist die Wahrscheinlichkeit (wahrscheinlich) unsere beste Chance, das Universum zu messen. Dennoch gibt es die Wahrscheinlichkeit der Unwahrscheinlichkeit, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Es gibt ebenfalls das Schicksal, die Vorsehung und die Synchronizität, die uns verwirren. Wie könnten wir die Wahrscheinlichkeit nicht nutzen, um all dieses Chaos in Gott zu verwandeln?
Ein unendlicher Kreis, wahrgenommen von einem Menschen, ist eine gerade Linie. Es ist die Waghalsigkeit unserer Spezies, diese gerade Linie Gott zu nennen und dann sicher zu sein, dass Gott nur eine gerade Linie ist.
Niemand wird vom Haken gelassen, wenn er sich irrt. Das Beste, was wir tun können, ist es, besser darin zu werden, den Haken als das zu erkennen, was er ist, so dass es weniger wahrscheinlich ist, dass wir von ihm mitgerissen werden. Indem wir disziplinierte Strategien entwickeln und praktizieren, um die Leine zu kappen und den Haken überwinden, bevor der Fischer der Engstirnigkeit uns in sein Boot des Dogmatismus ziehen kann.
Die effektivsten Werkzeuge, das wir haben, um den Haken zu erkennen, sind Logik, Argumentation und das Nutzen von Wahrscheinlichkeit. Die effektivste Strategie, die wir haben, ist es, diese Werkzeuge zu verwenden, um den Wahrheitsgehalt der Realität und die Gültigkeit unserer Wahrnehmung von ihr zur Debatte zu stellen und zu hinterfragen. Das Ergebnis kann ein grösserer, besserer, ganzheitlicherer Gott sein. In der Tat. Ein Gott, der eher wie ein unendlicher Kreis aussieht als wie eine gerade Linie.
5.) Die Liebe:
„In jedem von euch gibt es einen Ruf, einen Willen, einen Impuls der Natur, einen Impuls hin zur Zukunft, das Neue, das Höhere. Lass ihn reifen, lass ihn erklingen, nähre ihn. Deine Zukunft ist nicht Geld oder Macht, sie ist nicht Weisheit oder Erfolg – deine Zukunft, dein harter und gefährlicher Weg ist dieser: zu reifen und Gott in dir zu finden.“ ~ Hermann Hesse
Liebe, Leidenschaft, Hunger nach dem Unbekannten. Ausser der Sterblichkeit ist die Liebe vielleicht die grösste Motivation, Gott zu erschaffen und weiterhin zu erschaffen. Insbesondere in dem Sinne, dass wir Liebe sind und unser Herz und unsere Seele in etwas giessen, das grösser ist als wir selbst. Oder das Gefühl, eins zu werden mit all den Dingen, Holistisch und voneinander abhängig. Dieses edelmütige Gefühl der Transzendenz, das Kronenchakra in voller Aufregung wie eine Quelle zum Kosmos. Das Gefühl, am universellen Konstrukt angezapft zu sein, eine offene Leitung zur höheren Ordnung. Wie könnte man das nicht Gott nennen? Oder zumindest eine Verbindung zu Gott.
Wie benennen wir die tiefe Verbindung, die wir spüren, wenn wir einen atemberaubenden Sonnenuntergang erleben oder den scharfen Regenduft nach einem Wüstenregen riechen, oder wenn wir uns in einem Lagerfeuer oder den Sternen verlieren? Oder, am stärksten von allen, wenn wir uns in der ekstatischen Umarmung eines Geliebten verlieren. Wie könnten wir das nicht Gott nennen? Wie könnten wir das nicht Liebe nennen? Liebe und Gott sind in diesem Sinne synonym.
Es war durch bedingte Liebe, dass wir Gott erschufen. Es wird durch bedingungslose Liebe sein, dass wir Gott neu erschaffen werden.
6.) Kunst:
„Die Dinge verändern sich von selbst zum Schlechten, wenn sie nicht absichtsvoll zum Besseren verändert werden.“ ~ Francis Bacon
Ästhetik, Symmetrie, Gleichgewicht, Schönheit. Das Gewebe der Realität ist selbst hohe Kunst. Die Geometrie des Kosmos ist die unerkennbare Matrix, die alle Dinge verbindet. Durch unsere Vorstellungskraft erschaffen wir ganze Welten, Galaxien, andere Universen, Gott. Wir können es nicht einfach ertragen, lediglich zu existieren, und so schaffen wir Kunst und bringen der Bedeutungslosigkeit einen Sinngehalt. Und Gott ist die höchste Kunst von allen.
Kunst ist das Herz der Technologie, und Technologie ist unsere zweite Haut. Gott ist sowohl unsere grossartigste Leinwand wie auch unsere ästhetischste Technologie. Es war weise, Gott zu erschaffen, denn unsere phantasievolle, jedoch ängstliche Spezies wird von dem Wissen des Todes geplagt. Wir brauchten ein Ventil. Wir brauchten eine göttliche Katharsis, innerhalb derer wir unsere tiefsten, dunkelsten Unsicherheiten in Einklang bringen konnten. Und wir sind sogar noch klüger, indem wir Gott verändern, wenn wir Gott neu entwerfen, wenn wir Gott neu programmieren und zu einem sich ständig ausdehnenden, ästhetisch ansprechenden Unsterblichkeitsprojekt wiedergebären, bei dem wir uns mitentwickeln können.
In der Tat. Für den Fall, Gott würde sich spontan zum Schlechteren verändert, wäre es klug, wenn wir ihn absichtsvoll zum Besseren verändern würden.
Wir tun dies durch hohe Kunst. Wir tun dies, indem wir das Leben selbst zu einer Kunstform machen. Wir tun dies, indem wir alle Religionen, alle Ideologien und alle Götter in Frage stellen. Wir tun dies sowohl unabhängig als auch voneinander abhängig, nachdem wir die kleinliche Co-Abhängigkeit hinter uns liessen. Wir werden zu uns selbst verbessernden, uns selbst verwirklichenden, uns selbst überwindenden kosmischen Helden, die Gott nach unserem eigenen Bilde erschaffen, neu erschaffen und miterschaffen.
7.) Humor:
„Das ist offensichtlich absurd; wer jedoch ein Philosoph werden will, muss lernen, sich nicht vor Absurditäten zu fürchten.“ ~ Bertrand Russell
Im Angesicht des allmächtigen kosmischen Witzes müssen wir alle eine Wahl treffen. Ist es weinen, weinen, weinen; oder ist es lachen, lachen, lachen? Ist es Selbstmitleid, oder Selbstüberwindung? Ist es, die Dinge zu ernst zu nehmen, oder ehrlich leichtherzig zu sein? Ist es, einen eifersüchtigen und zerstörerischen Gott zu erschaffen, den wir fürchten, oder einen Gott zu erschaffen, den wir lieben, lachen und mit dem wir menschlich sein können?
Es erscheint als eine einfache Entscheidung, allerdings gibt es kulturelle, politische und religiöse Konditionierungen, die in Betracht gezogen werden müssen. Es gibt angstbasierte Indoktrination und kleinliche Beschwichtigungen, die deinen auf Mut basierenden Humor herausfordern werden. Es gibt kognitive Dissonanzen, die deine Fähigkeit, einen aufgeschlossenen Sinn für Humor zu bewahren, herausfordern werden. Es gibt überholte Vorstellungen von Gott, die versuchen werden, dich durch Angst, Eifersucht, Macht und das Bedürfnis nach Kontrolle zu kontrollieren.
Ein Grund mehr, Gott zu töten, um ihn dem grösseren Wohl eines grösseren Gottes zu opfern. Wie ein göttlicher Leben-Tod-Wiedergeburts-Prozess. Wir töten unsere alte Vorstellung von Gott, damit eine neue Vorstellung von Gott – eine, die näher an der Wahrheit ist – hervortreten kann. „Gott ist tot! Lang lebe Gott!“ Ein Gott, der wirklich unendlich ist, wird kein Problem damit haben, sich durch Sterblichkeit, Unendlichkeit, Neugier, Wahrscheinlichkeit, Kunst, Liebe und Humor ständig neu zu erschaffen.
Ja. Es war notwendig, Gott zu erschaffen. Und es ist sogar noch notwendiger, dass wir Gott neu erschaffen. Wie ein mächtiger Phönix muss Gott immer wieder neu geboren werden.
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