2021-09-14

Newsletter Gerald Hüther für den September 2021

Liebe Interessierte und kritische Begleiter, Freunde und Unterstützer, egal welchen Geschlechts,

die Qual der Wahl steht vor der Tür, die nächste Corona-Welle schwappt heran, die Spaltung und Polarisierung in der Gesellschaft wächst, die anstehenden Probleme werden immer unlösbarer und ein resignatives Gefühl breitet sich unter den Menschen aus. So viel Verunsicherung und Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit, Rat- und Orientierungslosigkeit, so viele versteckte und offen geäußerte Anklagen und Schuldzuweisungen habe ich noch nie zuvor erlebt.

Wir stehen offenbar wirklich am Beginn einer Wendezeit. Allen ist klar, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Gute Ideen und Vorschläge zur Abhilfe gibt es durchaus, aber solange wir außerstande oder nicht bereit sind, sie auch umsetzen, werden wir aus diesem selbsterzeugten Schlamassel auch in absehbarer Zeit nicht wieder herauskommen.

Kürzlich habe ich gelesen, dass sich das menschliche Hirnvolumen seit etwa zehntausend Jahren, also seit dem Beginn der Sesshaftwerdung, kontinuierlich verringert hat. Verantwortlich dafür scheint die seit dieser Zeit einsetzende und sich ständig weiter verstärkende „Selbstdomestikation“ unserer Vorfahren zu sein. Auch bei unseren Haustieren, etwa bei Eseln läßt sich der gleiche Trend beobachten: Das Hirnvolumen verwilderter Hausesel ist etwa ein Drittel größer als das ihrer zu Hause gebliebenen, domestizierten Artgenossen.Dazu passt auch noch ein weiterer Befund, der erst kürzlich im Journal of Development and Psychopathology erschienen ist: Strenge, angsteinflößende Erziehung lässt Kindergehirne schrumpfen. Manchmal frage ich die Teilnehmer von Veranstaltungen, ob sie sich noch erinnern können, wann sie ihre angeborene Entdeckerfreude und Gestaltungslust verloren haben. In der Schule, hätte ich vermutet, aber etwa zwei Drittel geben an, dass das bei ihnen bereits in der Kindheit in ihrer Herkunftsfamilie passiert sei.

Das sieht alles nicht so gut aus, eignet sich aber recht gut als „wissenschaftliches“ Argument, um deutlich zu machen, dass es höchste Zeit ist, unsere bisherigen Vorstellungen davon, worauf es im Leben ankommt, unseren daraus abgeleiteten Lebensstil und die damit einhergehende Erziehung unserer Kinder sehr grundsätzlich zu verändern. Sonst droht uns wohl ein ähnliches Schicksal wie das, was die Bandwürmer schon hinter sich haben. Deren Vorfahren waren ja ursprünglich ganz muntere, freilebende Bodenbewohner mit einem gut funktionierenden Gehirn. Einige dieser Würmchen benutzten ihr Hirn besonders clever und begannen, einen Lebensraum zu besiedeln (den Darm von Säugetieren), in dem es immer genug zu fressen gab, wo es immer schön warm war, wo keine Feinde mehr ihr Leben bedrohten und – weil sie Zwitter geworden waren – auch noch alle mit der Partnersuche verbundenen Probleme wegfielen. „Eat as much as you can“ und „all inclusive“ sozusagen. Wer mal Gelegenheit hat, in einen Bandwurmkopf hineinzuschauen, kann sich selbst davon überzeugen, was von einem Gehirn übrig bleibt, wenn es nur noch dazu benutzt wird, sich ein schönes, bequemes und angstfreies Leben zu bereiten. Je erfolgreicher die Vorfahren der Bandwürmer auf ihrer Suche nach einem Wurm-Schlaraffenland waren, desto stärker ist ihr Gehirn dabei verkümmert.

Ein bisschen schauerlich ist das schon, aber so weit ist es ja bei uns noch nicht gekommen. Wir könnten noch die Kurve kriegen und uns gegenseitig einladen, ermutigen und inspirieren, unsere Gehirne wieder so zu benutzen, dass sie nicht weiter schrumpfen. Wir könnten einander helfen, uns aus den Verwicklungen befreien, in die wir hineingeraten sind und uns auf diese Weise wieder entwickeln. Dann würde auch das in jedem menschlichen Gehirn angelegt Potential endlich zur Entfaltung kommen. Zur Not geht das auch erst einmal allein, aber besser ginge es gemeinsam mit anderen, die auch keine Lust mehr auf ein Bandwurmleben haben.

Mir selbst macht es große Freude, solche Menschen auf Ihrem Weg zu begleiten. Weil das mit dem Schreiben von Büchern, mit Vorträgen und Seminaren und auch mit Videos nicht so gut geht, versuche ich es gemeinsam mit anderen im Rahmen der Aktivitäten unserer Akademie für Potentialentfaltung. Aus den dabei gemachten Erfahrungen lerne ich immer besser, wie solche Entfaltungsprozesse in Gemeinschaften gelingen.

Besonders hilfreich sind dabei einige Initiativen, die aus der Akademie heraus entstanden sind und sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausbreiten. Menschen, die sich um die Bewahrung ihrer Würde bemühen und nicht länger manipulierbar und verführbar sein wollen, haben sich beispielsweise an vielen Orten zu inzwischen fast 200 Würdekompass-Gruppen zusammengeschlossen. Es gibt auch immer mehr Menschen, die sich darum bemühen, künftig etwas liebevoller mit sich selbst (und dann zwangsläufig auch mit anderen Menschen und allen anderen Lebewesen) umzugehen. Sie finden Gelegenheit für Austausch, gegenseitige Ermutigung und das Teilen von Erfahrungen in unserer Initiative liebevoll.jetzt.

Besonders gespannt bin ich auf die Resonanz auf eine Initiative der Akademie,die ich gegenwärtig zusammen mit Margret Rasfeld und „Schule im Aufbruch“ sowie einem Team unter Leitung von Corinna Sahl vorbereite. Sie soll Eltern, Lehrer und sonstige Interessierte aus Städten und Gemeinden einladen, ermutigen und inspirieren, ein Ortsbündnis aufzubauen,das die ortsansässigen Schulen dabei unterstützt, die Lernlust der Schüler zu “beflügeln”. Die Website, ist fast fertig und auch schon zu besichtigen unter: lernlust.jetzt. Zum Weltkindertag am 20.9. wollen wir die Initiative öffentlich machen.

Die Freude am Lernen ist ja Ausdruck der Freude am Leben. Mit dem gemeinsamen Anliegen “In unserer Schule soll künftig kein einziges Kind mehr seine Freude am Lernen verlieren” suchen diese Ortsbündnisse gemeinsam mit den Lehrern und Schülern nach konkreten, vor Ort umsetzbaren Möglichkeiten, um den in ihre Gemeinde, ihren Stadtteil oder ihre Stadt hineinwachsenden Kindern und Jugendlichen das Wichtigste zu erhalten, was sie alle bereits mit auf die Welt gebracht haben und was sie mehr als alles andere für ihr künftiges Leben brauchen (um Hirnschrumpfungen zu vermeiden): ihre ungebrochene Freude am eigenen Entdecken und am gemeinsamen Gestalten.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass es sich hierbei um ein recht hinterlistiges Projekt handelt. Falls sich Bürgerinnen und Bürger mit Lehrerinnen und Lehrern zu sehr vielen Ortsbündnissen zusammenschließen, wird der Druck auf die für die Schule Verantwortlichen ziemlich stark und kommt dann auch von allen Seiten. Dann wird es immer mehr Schulen gelingen, sich aus den fatalen Verwicklungen zu befreien, in die sie geraten sind und sich in Orte der Lebendigkeit und der Lebensfreude für alle Beteiligten verwandeln. Möglicherweise stellt sich dabei auch heraus, dass es nur sehr wenige sind, die sich aktiv dafür einzubringen bereit sind. Dann müßten wir uns eingestehen, dass es auch so nicht geht. Aber versuchen sollten wir es schon, deshalb wäre ich froh, wenn Sie und ihr alle dazu beitragt, diese Botschaft mit dem Link zur Website ab dem 20.9. überall zu verbreiten.

Mit Hilfe der digitalen Medien lassen sich ja nicht nur Fake-News oder Hassbotschaften verbreiten, sondern auch Hinweise und Informationen, die Mut machen und neue Wege aufzeigen, um die in unserer Gesellschaft bestehenden Probleme auf eine kreativere Weise zu lösen als wir das bisher versucht haben. Deshalb habe ich jetzt mit kompetenten Unterstützern auch einen eigenen YouTube-Kanal aufgebaut. Vorträge halte ich kaum noch, und meine Reisetätigkeit habe ich weitgehend eingestellt. Mit einer Maske im Zug zu sitzen, kann ich nicht so gut aushalten. Geimpft bin ich wohl, aber nicht gegen Corona, und mit Covid-19-infiziert war ich auch schon, aber weil ich davon nicht ernsthaft krank geworden bin, gelte ich auch nicht als genesen. Mit Sorge beobachte ich gegenwärtig die Situation in Israel. Das Virus lässt sich offenbar nicht so leicht besiegen wie manche das gehofft und versprochen hatten. Und unserem Immunsystem scheint es ähnlich zu gehen wie unseren Gehirnen: es verkümmert, wenn wir es durch allzu effektive Hygiene- und Schutzmaßnahmen daran hindern, möglichst gut zu lernen, wie es Krankheitserreger unschädlich machen kann.

Weil gegenwärtig noch nicht absehbar ist, wie es weiter geht, melde mich gern im Frühjahr noch einmal wieder. Dann werden wir wohl etwas besser wissen, ob und wie sehr die eingangs beschriebene Hirnschrumpfung bei uns voranschreitet und was von unserer einstigen Immunkompetenz noch übrig geblieben ist.

Bis dahin wünsche ich Ihnen und euch allen eine gute Zeit, bewahrt eure Würde, auch wenn es bisweilen nicht ganz einfach ist, und versucht möglichst liebevoll zu euch und zu allen anderen Lebewesen zu sein.

Mit einem herzlichen Gruß,

Gerald Hüther

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