2022-01-19

DIE MACHT DES HOHEN HUMORS



geschrieben von Gary Z McGee auf waking times, übersetzt von Antje

„Das Gesetz der Leichtigkeit darf das Gesetz der Schwerkraft ablösen“ 
~ R.A.Lafferty

Ein starker Charakter hängt von den sieben Grundtugenden ab (Mut, Mässigung, Weisheit,
Gerechtigkeit, Kreativität, Ehre und Humor). In diesem Artikel geht es um die letzte und stärkste Kerntugend: Humor. Genauer gesagt, um hohen Humor.

Wie können wir also hohen Humor erreichen? Indem wir die Leiter der Tugenden hinaufklettern. Ein gesunder Charakter führt zu einem gesunden Sinn für das Staunen, was wiederum zu einem gesunden Sinn für Humor führt. Dieser gesunde Sinn für Humor bringt uns jenseits von Richtig und Falsch, jenseits von Gut und Böse, jenseits von Selbstsucht und Egozentrik in die offenen Weiten des hohen Humors. Er ist Raketentreibstoff für den Weg zur Meta [Metaebene]. Und es ist das Metaparadigma, in dem wir die Genialität der Leichtigkeit entdecken.

Hier [im Humor] sind wir frei, neugierig zu denken. Mutig zu denken. Gross zu denken. Kühn zu denken. Magisch zu denken. Zu denken – ganz und gar – anstatt nur zu glauben. Wenn wir denken, statt zu glauben, wird unser Denken eher aufrichtig statt ernst. Es wird von Leichtigkeit durchzogen, von Ironie durchdrungen, von einem Gefühl des Spiels durchdrungen. Er ist der letzte und mächtigste der sieben Grundwerte, weil er sie alle zusammenfasst.

Hoher Humor fasst alle Grundtugenden zusammen

„Ein Sinn für Humor ist jeder Religion überlegen, die bisher erfunden wurde.“ 
~ Tom Robbins

Wo Mut den Charakter befreit, Mässigung den Charakter ausgleicht, Weisheit den Charakter leitet,
Gerechtigkeit den Charakter stabilisiert, Kreativität den Charakter wachsen lässt und Ehre den Charakter eint, überwindet hoher Humor den Charakter. Er ist die einzige Tugend, die transzendent ist. Er sieht, dass der Charakter genau das ist: eine Figur, die in einer Tragikomödie gefangen ist und über eine allzu sterbliche Bühne stolziert. Er sieht, dass die Figur auf tönernen Füssen steht. Aber er sieht auch die Flügel der Figur. Er honoriert beide durch ein Lachen, das aus der Leichtigkeit geboren wird.

Wo vorgetäuschter Humor ein Verführer ist, ist hoher Humor ein Sturm. Hoher Humor ist kein Slapstick. Er ist keine Komödie um der Komödie willen, wie es der vorgetäuschte Humor ist. Er ist nie ernst, jedoch immer aufrichtig. Er setzt sich immer an einen grossen Tisch für Spiel und Spott.

Hoher Humor ist der einzige Grundwert, der gleichzeitig Gott und den Teufel täuschen kann. Das liegt daran, dass hoher Humor die anderen sechs Grundtugenden zusammenfasst. Er nimmt sie auf, kultiviert sie, fasst sie zusammen und verbindet sie dann kreativ zu einem Ganzen. Dies geschieht durch den Einsatz von unbekümmertem Wagemut und sorgloser Lässigkeit. Diese Art von Humor ist hoch, denn es steht viel auf dem Spiel: entweder man lebt grossartig durch hohen Humor oder man stirbt langsam ohne ihn.

Es gibt keinen Zustand, der nicht mit hohem Humor überwunden werden kann. Es braucht ein gutes Gefühl für hohen Humor, um die Erkenntnis zu ertragen, dass wir das Ende des kosmischen Witzes sind. Aber nichts ist wichtiger, um die Dunkelheit ins Bewusste gelangen zu lassen, als einen guten Sinn für hohen Humor zu kultivieren. Vor allem, wenn unser Ziel gesunde Integration, Ganzheit, Gleichgewicht, Selbstverwirklichung, Antifragilität und Erleuchtung ist.​

Hoher Humor verbindet das Endliche mit dem Unendlichen

„Damit der Mensch leben kann, muss er entweder das Unendliche nicht sehen oder das Endliche mit dem Unendlichen verbinden.“ ~ Leo Tolstoi

Der hohe Humor, den wir in den kosmischen Gewässern der Leichtigkeit aufnehmen, gibt uns eines
der mächtigsten Werkzeuge, die der Menschheit bekannt sind: Ungebundenheit.

Durch eine gesunde Distanzierung sehen wir, wie alles miteinander verbunden ist. Wir sehen, wie Alles mit allem Anderen verbunden ist. Wir sehen den vernetzten Kosmos als ein riesiges Netz aus Frequenzen und Energie, in dem wir nur ein winziger Tautropfen sind. Wir jedoch sind ein Tautropfen, der das gesamte Netz reflektieren kann. Und durch eine solche Reflexion entsteht die Kraft, eine Bedeutung zu erschaffen, wo es sie sonst nicht gibt.

Durch hohen Humor entdecken wir unseren inneren Spiegel, unseren Urspiegel, unseren
wesentlichen Beitrag zum Kosmos: Präsenz.

Hoher Humor erzeugt Präsenz, indem er uns auffordert, nach verborgener Bedeutung zu suchen. Nicht in einer ko-abhängigen, starren und klammernden Weise, sondern in einer losgelösten, offenen und fliessenden Weise. Bedeutung wird zu einem Akt der Schöpfung statt zu einem Akt des Glaubens.

Wenn wir von der Bedeutung abhängig sind, nehmen wir uns selbst zu ernst. Wenn wir von der Bedeutung losgelöst sind, sind wir frei, Bedeutung zu erschaffen oder zu zerstören, wie wir es für richtig halten. Wir sind nicht in der Wahrheit verankert, sondern wir fliessen, schwimmen und navigieren durch die turbulenten Gewässer der Wahrheit.

Durch den Spiegel des hohen Humors sehen wir, dass die Wahrheit niemals feststeht. Sie ist immer in Bewegung, immer stürmisch, immer prekär. Ein guter Sinn für hohen Humor ist die Fähigkeit, durch solch unberechenbare Gewässer zu schwimmen. Wie Alan Watts sagte: „Was man in diesem Universum braucht, ist nicht Gewissheit, sondern den Mut und die Nerven eines Spielers; nicht feste Überzeugung, sondern Anpassungsfähigkeit; nicht festen Boden, auf dem man steht, sondern die Fähigkeit zu schwimmen.“

Hoher Humor gibt uns die Erlaubnis zu spielen

„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ ~ F. Schiller

Der Sinn für hohen Humor ist eine vulnerable Rüstung. Er ist ein flexibles Schild. Er ist eine formbare
Stärke.

Hoher Humor ist radikalisierte Tugend. Er radikalisiert Mut, Mässigung, Weisheit, Gerechtigkeit, Kreativität und Ehre. Durch radikalisierte Tugend entsteht hoher Humor, ein Sinn für das Spielen, der so stark ist, dass er Macht über die Macht selbst gewinnt. Er ist so erfüllend, dass er unser Leben mit Kühnheit, Authentizität, Präsenz, Freude und Leidenschaft durchdringt.

Bewaffnet mit der vulnerablen Rüstung des hohen Humors werden wir furchtlos.

Durch diese Furchtlosigkeit sind wir frei, zu experimentieren. Wir sind frei, die Tragödie in einen Lehrer, den Schmerz in einen Professor und die Arbeit in ein Labor zu verwandeln. Denn wir erkennen, das Leben selbst ist nur ein grosses Experiment und wir sind die Versuchsleiter. Wir sind die verrückten Wissenschaftler, und unser Leben ist unsere verrückte Erfindung.​

Diejenigen, die mit dem Leben experimentieren, diejenigen, die Risiken eingehen, neigen dazu, ein gut gelebtes (furchtloses) Leben zu führen. Diejenigen, die das nicht tun, neigen dazu, ein vorgeschriebenes Leben zu leben, ein stagnierendes Leben, ein halbtotes Leben (ängstlich). Die Humorlosen fallen eher in die zweite Kategorie, während diejenigen mit viel Humor eher in die erste Kategorie fallen.

Diejenigen mit furchtlosem, hohem Humor erkennen, wie wichtig es ist, hart zu arbeiten, doch noch härter zu spielen. Denn ein Sinn für das Spielerische erschafft nicht nur Leichtigkeit, sondern auch eine gute Arbeitsmoral. Er erschafft ein kreatives Umfeld, einen Raum zum Gedeihen, einen Raum zum Kultivieren, einen Raum zur Selbstverbesserung. Er erschafft einen heiligen Ort für unapologetisches Handeln [keine Lehre oder Ansicht vertretend], nietzscheanische Unbekümmertheit und prometheische Kühnheit. Wie Machiavelli sagte: „Es ist besser zu handeln und zu bereuen, als nicht zu handeln und zu bereuen.“

Hoher Humor ist radikaler Humor, unersättlich und furchtlos, ursprünglich und unbezahlbar. Er ist unnachgiebig in seinem Streben. Er ist das Tier unseres höchsten Appetits. Er ernährt sich von Bedeutung – hoher Bedeutung, übergeordnete Meta-Bedeutung. Die Art von Bedeutung, die den Bauch der Seele bis zum Platzen füllt.

Er verwandelt das Tier in einen Gott und den Gott zurück in ein Tier. Er tut dies für immer und immer wieder, lacht über die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz und macht sich über den kosmischen Witz lustig. Er ist ein Phoenix, der die Pfeife seiner eigenen Asche raucht.

Über den Autor: Gary ‚Z‘ McGee, ein ehemaliger Marinegeheimdienstler, der zum Philosophen wurde, ist der Autor von Birthday Suit of God und The Looking Glass Man. Seine Werke sind inspiriert von den großen Philosophen der Zeitalter und seinem hellwachen Blick auf die moderne Welt.

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