geschrieben von Gary Z McGee, Mitwirkender auf Waking Times, übersetzt von Antares
„Was nützt ein Philosoph, der niemandes Gefühle verletzt?“ ~ Diogenes von Sinope
Wir leben in einer Welt, die mit dünnhäutigen Status-Quo-Junkies vollgestopft ist, die auf Eierschalen laufen. Jeder fürchtet sich davor, jemanden zu kränken und beleidigt zu werden. Jeder hat Angst davor, ehrlich zu werden. Jeder hat Angst – Basta.
Sentimentalität im Überfluss. Widerstandslose und rührselige Einfaltspinsel beherrschen den Tag. Snowflakes (Schneeflocken) mit haarfeinen Triggern werden links und rechts ausgelöst. Es ist ein wahres Minenfeld voller Rührseligkeit und weinerlicher Karens da draussen.
Oh. Mist. Nun gut. Lass sie weinen. Lass sie schreien. Lass sie doch über sich selbst stolpern in einer selbsterzeugten Cartoon-Krise. Du kannst ihre Reaktion nicht kontrollieren. Alles, was du kontrollieren kannst, ist deine Absicht. Und wenn deine Absicht ehrlich, authentisch und wahrhaftig ist, wen kümmert es schon, wenn es jemandem zu nahe tritt, ihn verärgert.
Das Leben ist verärgernd, verletzend. Das Leben ist Schmerz. Jeder, der dir etwas anderes erzählt, will dir etwas verkaufen. Jeder, der dir sagt, du sollst deinen Mund halten, weil du jemanden verärgern könntest, sollte selbst seinen Mund schliessen.
Denn Menschen müssen verärgert werden. Menschen müssen herausgefordert werden. Menschen müssen mit der Wahrheit geohrfeigt werden, insbesondere dann, wenn sie lieber mit Lügen geküsst werden wollen.
Die Leute zu verärgern ist gesund. Es zwingt sie zum Nachdenken. Es zwingt sie, sich selbst zu hinterfragen, ihre winzige Komfortzone auszudehnen und nach Denkweisen ausserhalb ihrer kulturell vorgeprägten, konditionierten Box zu suchen. Besonders engstirnige, vorsätzlich ignorante Dogma-Junkies, die sich gegenseitig in Schuldzuweisungen ergehen. Und ganz besonders parteiische Marionetten auf beiden Seiten mit Bibeln statt Gehirnen und Dollarzeichen statt Herzen.
Werde besser darin, dich von Menschen verärgern zu lassen:
„Die Wahrheit ist wie eine Operation. Sie tut weh, doch sie heilt. Eine Lüge ist wie ein Schmerzmittel. Sie verschafft sofortige Linderung, hat jedoch Nebenwirkungen für immer.“ ~ Unbekannt
Erste Regel in der Kunst, Menschen zu verärgern: Werde besser darin, selbst verärgert zu sein.
Du bist der Dreh- und Angelpunkt. Du bist die Wahrnehmungsschwelle. Alle Gefühle der Verärgerung und alle Handlungen des Verärgerns werden von dir ausgehen. Die Art und Weise, wie du damit umgehst, verärgert zu sein, ist entscheidend dafür, wie du es bewerkstelligst, aus der Verärgerung anderer eine Kunst zu machen.
Zuallererst mach dir klar, du bist fehlbar. Du bist unvollkommen und neigst zu Fehlern. Du bist letztendlich auch nur ein Mensch. Die Wahrheit kann weh tun, jedoch sie heilt auch. Sie hilft dir, über dich selbst hinauszuwachsen. Die Wahrscheinlichkeit, dass du angetriggert wirst, ist viel geringer, wenn du dir darüber im Klaren bist, dass du zu der Spezies gehörst, bei der die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass du angetriggert wirst / bist.
Hier ist ein Geheimnis: Niemand weiss, was zum Teufel vor sich geht. Niemand hat alles durchschaut. Wir sind alle verwirrt. Wir sind alle Mitglieder einer fehlbaren, zu Fehlern neigenden, unbeholfenen, umhertastenden Spezies, die ein kurzes Leben in einem unergründlich uralten Universum durchlebt. Aufgrund unserer Verwirrung sind wir alle sentimentale, besänftigende Schneeflocken, die überall auf der verdammten Erde schmelzen.
Hier ist der Schlüssel: Verwandle deine Trigger / Auslösepunkte in Neugierde. Frage dich selbst: Warum fühle ich mich wegen dieser unbedeutenden Kleinigkeit im grossen Plan so emotional? Ist es lediglich eine Kurzschlussreaktion, die auf meine kulturelle Konditionierung, politische Voreingenommenheit oder religiöse Gehirnwäsche zurückgeht? Befinde ich mich in einer kognitiven Dissonanz oder in einem der vielen psychologischen Irrtümer? Reagiere ich aus Angst, Feigheit oder Unwissenheit? Habe ich den Blick dafür verloren, dass das alles Schwachsinn ist, insbesondere meine eigenen Überzeugungen? Bin ich in der Lage, brutal ehrlich zu mir selbst zu sein?
Grabe tief. Gehe spielerisch damit um. Nutze deinen Sinn für Humor. Sei besser neugierig auf etwas, statt dich von Dingen antriggern / auslösen zu lassen, das ist stets lohnender. Du wirst aus einer neugierigen Erfahrung immer mehr herausholen als aus einer ,ausgelösten’.
Es ist eine Art von emotionaler Alchemie. Erspüre den Auslöser, ehre ihn, lass dich von ihm mit kleinlichem Ärger und fehlgeleiteter Rage erfüllen, und drehe dann den Spiess um, indem du neugierig darauf wirst, warum er dich so wütend macht. Fühlst du dich angetriggert, habe einfach die Disziplin, mit Neugierde zu agieren. Vielleicht entdeckst du dabei etwas über dich selbst, das du allein durch den Auslöser nie erfahren hättest.
Werde besser darin, andere zu verärgern:
„Erkenne, manchmal wirst du Menschen verärgern und sogar verletzen müssen, die deinen Weg versperren, die hässliche Werte haben, die dich zu Unrecht kritisieren. Nutze derartige Momente klarer Ungerechtigkeit, um deinen Schatten hervorzuholen und ihn mit Stolz zu zeigen.“ ~ Robert Greene
Menschen zu verärgern ist eine Form der Kunst. Es ist ein subtiles Rezept aus Wagemut, Demut und Humor. Mit zu viel Wagemut ist man nur ein Arschloch. Mit zu viel Bescheidenheit ist man lediglich ein Schwächling. Mit zu viel Humor bist du eben einfach ein Clown. Doch, wenn du das alles in einem ausgewogenen Verhältnis mischst, hast du hohe Kunst.
Ein verbleibender Schlüsseleffekt dieser hohen Kunst ist ein Gefühl der Furchtlosigkeit. Du wirst feststellen, du hast nicht länger Angst davor, der Welt zu zeigen, wer du wirklich bist. Du fürchtest nicht länger all das, was andere über dich denken (könnten). Du bist frei, dein einzigartiges, individuelles und vielleicht sogar individualisiertes Selbst zu sein.
Halte deine Einzigartigkeit aufrecht, selbst wenn du damit einige Menschen verletzt. Wahre Macht resultiert daraus, kühn das zu sein, was du wirklich bist, was dich anders sein lässt. Manchmal mag das, was dich anders macht, für andere vielleicht nicht angenehm sein. Gut so. Solange du authentisch bist. Solange du echt, aufrichtig und real bist, lass deine Freak-Fahne wehen. Lass deinen Schatten leuchten. Lass deine Kunst einen Schockwert haben. Verdammt seien die Partygänger!
Sei einfach selbstkritisch und introspektiv. Wenn du bei deinem Versuch, das grosse Bild klarer zu sehen, all die Kleingeister vor den Kopf stösst, dann ist das eben so. Halte dich nicht zurück. Gehe mit deinem Meta-Wissen in den vollkommenen Macher-Modus. Leuchte mit dem Klieg-Licht (,lichtstarke Bogenlampe‘) der Wahrheit durch ihre Augenbinden. Es liegt an ihnen, das Licht zu sehen, oder eben nicht. Am Ende hast du es wenigstens versucht, um ihnen zu zeigen, dass es viel besser ist, Meta zu gehen, als entweder Alpha oder Beta zu bleiben.
„Ich bin verärgert!“ ist der Schlachtruf des Feiglings. Wahrer Mut transformiert die ,Verärgerung’ in Humor. Nun, du fühlst dich also verärgert? Ja, und? Verwandle den Mist in Gold, indem du herausfindest, warum du dich so verärgert fühlst, und lache dann über dich selbst. Lache über den menschlichen Zustand. Lache über den unbedeutenden Teil von dir, der sich selbst zu ernst nimmt. Nutze nunmehr deine Neugierde, um das ganze Desaster in einen Flow-Zustand zu strukturieren, der dich der Zeit voraus sein lässt.
Lass die Schneeflocken auf dem ganzen verdammten Platz schmelzen. Lass den Cartoon in ihrem Gehirn ihr sentimentales Melodrama und ihre Primadonna-Kurzschluss-Reaktion auf die Kurvenbälle des Lebens ausspielen. Du kannst sie nicht kontrollieren. Konzentriere dich auf das, was du kontrollieren kannst: verhandle die Bälle wie ein Chef, indem du aus der Neugier heraus Kunst erschaffst, die aus dem Verärgert-Sein entsteht.
Erschaffe Kunst, die die Menschen bewegt, die die Dinge aufrüttelt, die die Komfortzonen erweitert und Grenzen in Horizonte transformiert. Erschaffe Kunst, die Anstoss erregt, die das Komfortable stört und dem Verwirrten Mut zuspricht. Erschaffe Kunst, die Drehbücher kippen lässt und eingefahrene Denksysteme niederwirft, die das menschliche Dasein so gründlich wachrüttelt, dass neue und gesündere Wege des Menschseins entstehen und die Welt herausfordern.